Exoten-Pulsar bei Einstein@Home entdeckt: Bürger-Forschung mit Folgen

Der Himmel im Blick des Gammasatelliten Fermi und die beiden von Einstein@Home entdeckten Gammapulsare: Die Felder unterhalb der Ausschnitte zeigen den Namen des jeweiligen Pulsars und einige seiner gemessenen Eigenschaften. [Knispel/Clark/Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik/NASA/DOE/Fermi-LAT-Kollaboration]

Die Massenanalyse von Daten eines NASA-Gammastrahlen-Satelliten durch zahlreiche Computer von Freiwilligen (Einstein@Home) hat zur Entdeckung des ersten Millisekunden-Pulsars geführt, der sich nicht gleichzeitig auch als Radio-Pulsar bemerkbar macht: Eine neue Population dieser rasant rotierenden Sternüberreste wird greifbar. Und sie zu kennen ist entscheidend um zu klären, ob im Zentrum der Milchstraße Teilchen der Dunklen Materie im Gammabereich zerstrahlen oder ob – wie zuletzt mehrere Analysen nahelegten – die beobachtete Strahlung vielmehr von vielen Millisekundenpulsaren stammt.

Genau ein halbes Jahrhundert ist das Phänomen Pulsar bekannt und verstanden: Wenn es mit einem massereichen Stern zuende geht, endet er in einer Supernova-Explosion, und es bleibt ein superkompakter und schnell rotierender Neutronenstern zurück – rund 2500 solcher Pulsare sind schon gefunden worden, die sich durch regelmäßige Radioblitze bemerkbar machen. Etwa jeder zehnte Pulsar blitzt mehr als 10-mal pro Sekunde: Die meisten dieser Millisekunden-Pulsare sind alt, wurden aber durch Materieströme von Begleitern auf Touren gebracht und senden dann gerne auch Blitze im Gammastrahlen-Bereich aus. Diese kann man in den Daten spezieller Weltraumobservatorien, namentlich des Fermi-Satelliten der NASA, aufspüren – am besten, wenn die Periode schon durch Radiobeobachtungen bekannt ist. Eine blinde Suche nach periodischen Signalen in Fermis Daten ist hingegen außerordentlich rechenaufwändig, lässt sich aber gut in viele kleine Pakete aufteilen, mit denen sich dann im Rahmen des Projekts Einstein@Home zehntausende Privatcomputer beschäftigen können, deren CPUs gerade wenig zu tun haben. Nun hat diese Suche die ersten zwei Millisekunden-Pulsare aufgespürt (Grafik oben): Bei einem wurden dann auch Radiopulse gefunden, beim anderen jedoch nicht. Dieser erste Vertreter der neuen Klasse radioleiser Gamma-Millisekunden-Pulsare ist sicher nicht allein – und sie ist von erheblicher Bedeutung, denn theoretisch könnte es wesentlich mehr gamma- als radiohelle Millisekunden-Pulsare geben.

Die drei wichtigsten Bestandteile der Milchstraße im Schema: die Scheibe mit Spiralstruktur, der fette „Bulge“ in der Mitte – und der im Wesentlichen kugelförmige Halo aus Dunkler Materie, die in der Realität natürlich leuchtet. Und, wie immer klarer wird, wohl auch nicht im Gammastrahlen-Bereich. [L. Jaramillo und O. Macias, Virginia Tech]
Solch eine Pulsar-Population könnte gar das Gamma-Bild der Milchstraße verändern. Ebenfalls der Fermi-Satellit sieht nämlich diffuse Gammastrahlung in einem mehrere Grad großen Bereich rund das Zentrum der Milchstraße, den Galactic Center Excess (GCE): Sein Spektrum passt gut zur Zerstrahlung bestimmter hypothetischer Teilchen der Dunklen Materie in Quark-Paare und wäre damit ihr bei weitem greifbarster direkter Nachweis. Aber es gibt auch eine ganze Reihe alternativer Interpretationen des GCE: allen voran Scharen von Millisekunden-Pulsaren, als einzelne Punktquellen nicht aufgelöst, deren Gammastrahlung ebenfalls gut zu seinem Spektrum passen würde. Die Diskussion wogt seit bald zehn Jahren hin und her, und inzwischen sieht es schlecht für die Dunkle Materie aus: Zwei aktuelle Analysen zeigen, dass der GCE nicht so kugelförmig ist, wie es bei der kaum wechselwirkenden Dunklen Materie zu erwarten wäre, sondern vielmehr sehr genau der Verteilung alter Sterne folgt, die eine buckelförmige Verteilung („Bulge“) in der Mitte der Milchstraße bilden. Aber geht der GCE wirklich komplett auf Tausende von Millisekunden-Pulsaren zurück? Die nächste Generation Radioteleskope wird energisch nach Radiopulsen lauschen, aber insbesondere die weitere Massen-Analyse der Fermi-Daten auf der Suche nach radioleisen Pulsaren wird diese Frage angehen, um hier zu harten Zahlen zu gelangen. Während freilich die Natur der Dunklen Materie, eines integralen Bestandteils der modernen Kosmologie, weiter rätselhaft bleibt.

LINKS:
Originalarbeit zu Einstein@Home: http://advances.sciencemag.org/content/4/2/eaao7228.full
Pressemitteilung des AEI dazu: http://www.aei.mpg.de/2232971/radioquietmsp
Stand der Analyse der GCE-Daten (mit Links zu zwei Originalarbeiten): https://astronomycommunity.nature.com/users/86773-oscar-macias/posts/30854-mysterious-gamma-ray-signal-from-the-centre-of-our-galaxy-is-not-due-to-dark-matter
Press Release der ANU dazu: http://science.anu.edu.au/news-events/news/mysterious-signal-comes-very-old-stars-centre-our-galaxy
Übersichtsartikel über Millisekunden-Pulsare: https://arxiv.org/abs/1709.09434

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