Irgendwann in der ersten Aprilwoche wird die chinesische Raumstation Tiangong-1 in der Atmosphäre verglühen, das besagen inzwischen fünf unabhängige Modellrechnungen ihres immer schnelleren Abstiegs. Wie sie am Ende genau zerbrechen wird und wieviel Restmasse den Boden erreichen kann, vermögen auch die Absturzexperten der Europäischen Weltraumbehörde am ESOC in Darmstadt nicht sagen: Zu wenig technische Details über Struktur und Werkstoffe konnten sie in Erfahrung bringen, und selbst die Masse ist unklar und kann irgendwo zwischen 7,5 und 8,5 Tonnen liegen, weil nicht bekannt ist, wieviel Treibstoff noch an Bord war, als die Bodenkontrolle den Kontakt verlor. Für die ESA ist die Begleitung von Tiangongs Ende damit zugleich operative Aufgabe – der Zivilschutz ihrer Mitgliedsstaaten möchte die Lage kennen – wie auch eine intensive Forschungsaufgabe. Mit leider nur beschränkten Daten, wie Abenteuer Astronomie heute aus erster Hand erfuhr: Für die aktuellen Bahnelemente, auf denen alle Berechnungen basieren, ist die ESA zum Beispiel komplett auf das amerikanische Militär und seine Orbit-Überwachung per Radar angewiesen. Die ESA hätte gern selbst ein solches Radarnetz aufgebaut, doch das hätte mehrere Hundermillionen Euro gekostet: Der ESA-Ministerrat gab die Mittel nicht frei.
Auf Daten eines europäischen Radars können die Tiangong-Überwacher aber doch zurückgreifen: das Tracking and Imaging Radar (TIRA) mit einer 34-Meter-Parabolantenne bei Bonn, die schon manch abstürzenden Satelliten verfolgt hat. Dabei werden – eine Rarität – auch detaillierte Bilder erzeugt, aus denen Zustand und Orientierung des Ziels hervorgehen. Es hat sich zum Beispiel gezeigt, dass Tiangong-1 etwa einmal alle 4 Minuten rotiert: Die anströmende Luft der oberen Atmosphäre in heute noch 211 x 232 km Höhe hat wohl zu einer Art Propellereffekt geführt. Den Verlauf des Abstiegs beeinflusst dies indes nur wenig: Wie sich in Diskussionen unter Satellitenexperten herausgestellt hat, sind Schwankungen des von Tiangong-1 verspürten Luftwiderstands mit einer scheinbaren Periode von 5 bis 7 Tagen die Folge von Dichteschwankungen der oberen Atmosphäre, gesteuert vor allem von der Sonnenaktivität. Denn ein anderer, viel kleinerer und inetwa kugelförmiger Satellit, der heute Mittag abgestürzt ist, erlebte genau dieselben Schwankungen. Die Sonne bleibt der größte Unsicherheitsfaktor, aber die Absturztage der diversen Prognosen für Tiangong-1 liegen inzwischen alle im Bereich 1. bis 4. April, jeweils ± 3 bis 4 Tage.Ähnliche Artikel
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