Tiangong-1 ist Geschichte: Wie wir vom feurigen Ende der Raumstation erfuhren

Die letzte Bahn der chinesischen Test-Raumstation Tiangong-1 um die Erde und ihr Absturzort, wie ihn das US-Militär ermittelt hat. [Marco Langbroek]

Sang- und klanglos ist die erste chinesische (Test-)Raumstation Tiangong-1 über dem Pazifik verschwunden: einerseits befriedigend, weil allen Modellen von Raumschrott-Experten entsprechend abermals niemand zu Schaden gekommen ist – aber auch schade, weil es vermutlich keine (öffentlich zugänglichen) detaillierten Beobachtungen der letzten Minuten des Satelliten und erst recht keine Trümmerfunde gibt, aus denen etwas zu lernen gewesen wäre.

Aber woher wissen wir überhaupt, dass der Wiedereintritt heute früh gegen 2:15 MEZ – so die Mitteilung der chinesischen Regierung knapp eine Stunde später – bzw. um 2:16 MESZ ±1 Minute erfolgt war, wie die US-Luftwaffe Minuten danach verkündet hatte? Darüber steht in den öffentlichen Stellungnahmen der Behörden ebenso wenig wie bei der Europäischen Weltraumagentur, die das Ende von Tiangong-1 vor allem zu Forschungszwecken im Rahmen einer internationalen Kampagne begleitet hatte. Die Raumstation war tot und damit kein aktiver Radiosender mehr: Nur noch durch visuelle Beobachtungen (im Sonnenlicht vor dunklem Himmel) und über Radarechos war sie überhaupt zu verfolgen. Über Südargentinien wurde sie bei ihrem letzten Überflug noch einmal gesehen, über den Himmel rasend und so hell wie Alpha Centauri, aber sonst basierten alle Bahnanalysen (und Animationen auf diversen Webseiten) auf Bahnelementen, die das US-Militär der Welt zur Verfügung stellte: Sie beruhten wiederum auf Messungen eines weltweiten aber lückenhaften Netzes aus Radarstationen, das sich keine andere Nation leistet.

Die letzten Radar-Bilder von Tiangong-1, aufgenommen vom Tracking and Imaging Radar (TIRA) bei Bonn knapp 24 Stunden vor dem Ende – da war die Bahnhöhe noch 161 km und die Raumstation intakt. [Fraunhofer FHR]

Die schnelle und präzise Angabe der Zeit und auch des Ortes des Wiedereintritts (durch Zufall ganz in der Nähe jenes pazifischen „Satellitenfriedhofs“, in den man Tiangong-1 ohnehin geschickt hätte, wäre nicht die Kontrolle verloren gegangen) muss freilich auf einer anderen Informationsquelle basieren: kein Radar und erst recht kein optischer Beobachter weit und breit. Die einzige plausible Möglichkeit: Eine Infrarotkamera auf einem amerikanischen Frühwarnsatelliten, der eigentlich nach Raketenstarts rund um den Globus Ausschau hält, hatte das Wärmesignal des Wiedereintritts gesichtet. (Diese Sensoren sehen auch natürliche helle Meteore: Diese Daten werden der Forschung sogar zur Verfügung gestellt, wenn auch über Details der Messtechnik geschwiegen wird.) Dass China so schnell dieselben Zahlen nannte, könnte auf einen Datenaustausch mit den USA hindeuten oder auf Beobachtungen eines eigenen neuen Frühwarnsatelliten basieren: so oder so eine interessante Nebenerkenntnis. Und China hat den Rummel um Tiangong-1 zum Anlass genommen, detaillierter denn je über das erste Modul Tianhe seiner großen Raumstation zu berichten, die 2022 fertig sein soll. Das deutsche Weltraumradar TIRA hat auch heute noch einmal nachgeschaut: Auf der Bahn von Tiangong-1 war definitiv nichts mehr unterwegs.

LINKS:
Press Release der USAF: http://www.vandenberg.af.mil/News/Article-Display/Article/1481734/jfscc-tracks-tiangong-1s-reentry-over-the-pacific-ocean
Mitteilung aus China: http://en.cmse.gov.cn/art/2018/4/2/art_1763_32429.html
Erklärung der ESA: http://blogs.esa.int/rocketscience/2018/04/02/tiangong-1-reentry-how-esa-found-out
Detaillierter Artikel zu Tiangong-1: http://spaceflight101.com/re-entry/abandoned-chinese-space-laboratory-re-enters-harmlessly-over-pacific-ocean
Details zu Tianhe: https://gbtimes.com/tianhe-a-look-at-the-core-module-of-the-chinese-space-station

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