Der „supergroße“ Vollmond: Was die Zahlen wirklich sagen

Der Vollmond in Erdferne und Erdnähe im selben Maßstab: Die Unterschiede zwischen den entsprechenden Anblicken in verschiedenen Jahren sind verschwindend gering gegenüber dieser grundlegenden Differenz, die alljährlich auftritt - und nur sie ist überhaupt (und auch nicht immer leicht) mit dem Auge zu erkennen. [NASA via DLR]

Der Medienwirbel schwillt an: „Am Montag wird ein Riesen-Vollmond am Nachthimmel zu sehen sein“, tönt etwa eine Nachrichtenagentur, und das Mem „größter Vollmond seit 1948“ ist in aller Munde. Aber die Abstände Erde – Mond und insbesondere auch Beobachter – Mond variieren auf vielfältige Weise, und die auch hier bereits gefeierte Rekordgröße auf der Skala von Jahrzehnten ist sogar ein ganz besonders kleiner Effekt, verglichen mit alljährlichen und gar alltäglichen Veränderungen.

Die im Detail gesehen ausgesprochen komplizierte Bahn des Mondes um die Erde ist aus deren Perspektive eine näherungsweise Ellipse mit einer Exzentrizität von 0,055: Wenn er der Erde am nächsten ist, im Perigäum, erscheinen deswegen sein Durchmesser etwa 14 Prozent und die Fläche und Helligkeit sogar 30 Prozent höher als in Erdferne, dem Apogäum. Manche Beobachter können zuverlässig mit eigenem Auge erkennen, wenn der Mond – vor allem nahe der Vollphase – besonders erdnah steht, andere haben damit Schwierigkeiten. Wichtig für unbeeinflusste Beobachtungen (idealerweise in Unkenntnis der tatsächlichen Entfernung) ist ein Mond ziemlich hoch am Himmel und fern von Gebäuden, Bäumen oder auch nur Wolkenkanten, die das Auge-Gehirn-System ähnlich verwirren können wie Horizontnähe. Der Perigäums-Effekt dürfte der einzige Aspekt der schwankenden Mondgröße am Himmel sein, der ohne technische Hilfsmittel überhaupt wahrzunehmen ist. Jedes Jahr fallen drei oder vier Vollmonde recht eng mit dem Perigäum zusammen, dieses Jahr von Oktober bis Dezember: Der Oktober-Vollmond war nur 0,55% weiter entfernt als der vom 14. November, und der Dezember-Vollmond wird nur 0,82% ferner sein – für’s Auge völlig identisch. Es hat sich seit fünf Jahren eingebürgert, solche Perigäums-Trios als „Supermonde“ anzusprechen, zunächst gegen den Widerstand vieler Astronomen, da der Unterschied zum Apogäum zwar merklich aber gewiss nicht ’super‘ ist, aber inzwischen benutzt selbst die NASA den Begriff …

Der „Supermond“ vom 14. November also: Vollmond ist um 14:52 MEZ, und der Abstand von Mond- und Erdzentrum beträgt dann 356520 km. Zum letzten Mal näher war ein Vollmond tatsächlich am 26. Januar 1948, aber der morgige Vollmond ist nur 0,008% weiter entfernt! Aus dieser Tatsache ein weltbewegendes Ereignis zu machen, ist schlicht absurd. Und er ist auch nur 0,02% weiter entfernt als der nächste noch nähere Vollmond am 25. November 2034, wieder ein völlig insignifikanter Unterschied von unter hundert Kilometern. Wir lernen: Die Schwankungen der Extrema der Mondbahn sind minimal gegenüber der recht ausgeprägten Ellipse, die der Mond jeden Monat durchläuft und deren Perigäum im 14-Monats-Rhythmus jeweils mehrfach mit dem Vollmondtermin harmoniert. Das ist aber noch nicht alles: Der Beobachter befindet sich schließlich nicht im Erdmittelpunkt sondern 6370 km entfernt auf der Oberfläche – das bringt eine zusätzliche Variation der „persönlichen“ Monddistanz um viele tausend Kilometer mit sich, je nach Ort und Zeit. Der Mond im Zenit ist zum Beispiel um 3000 und mehr Kilometer näher als wenn er nur flach über dem Horizont steht – egal ob das an der lokalen Uhrzeit oder an der geografischen Breite liegt. Dieser Effekt kann bis zu 1-2% ausmachen und dominiert allein schon die Extra-Schwankungen über Jahrzehnte um Zehnterpotenzen. Und ist andererseits immer noch viel kleiner als der Apo-/Perigäums-Unterschied: Für das Auge erkennbar ist er demnach sicher nicht.

Bliebe damit noch die Frage zu klären, wenn eigentlich ein Beobachter im deutschsprachigen Raum den „Supermonden“ des Jahres 2016 am nächsten kommt. Da der Vollmond im November in die Mittagszeit des 14. November fällt, ist er von Europa aus natürlich unsichtbar, ideal platziert dagegen im Pazifik, wo sein Mittelpunkt in der Nähe des Äquators und der Datumsgrenze dann nur etwa 350135 km entfernt sein wird. Für einen Beobachter auf 10° Ost und 50° Nord kommt es beiderseits des Vollmondzeitpunkts zu zwei Minima der Distanz, heute um 23:45 MEZ mit 351825 km oder 0,48% mehr als für den Pazifikpunkt, und am Morgen des 15. November um 0:35 MEZ mit 351555 km oder 0,41% mehr: Letzteres ist also der „eigentliche“ Supermond für Europa. Beide Minima schlagen deutlich die jeweiligen europäischen Mondnähen vom Oktober (354397 km) und Dezember (353949 km), die auch beide nur wenige Stunden Abstand zum Vollmondzeitpunkt hatten bzw. haben werden. Bleibt als Fazit: Die Elliptizität der Mondbahn sorgt alljährlich für eine Serie mehrerer besonders erdnaher Vollmonde, die ein nicht unbedingt auffälliges aber doch sichtbares Naturphänomen darstellen – das beweist, dass nicht alles im Weltraum auf Kreisbahnen abläuft, eine fundamentale Einsicht der Astrophysik immerhin. Hingucken lohnt sich. Alle anderen Effekte, die zu Veränderungen der Mondgröße am Himmel führen, sind dagegen klein bis unbedeutend.

Daniel Fischer

LINKS:
Noch mehr harte Zahlen: http://cosmos4u.blogspot.de/2016/11/why-you-should-embrace-14-november.html
Distanzen der Vollmonde 2004 bis 2023: http://www.geoastro.de/moon/FullMoon
Alle Perigäums-Vollmonde des 21. Jahrhunderts: http://astropixels.com/ephemeris/moon/fullperigee2001.html

1 Kommentar zu Der „supergroße“ Vollmond: Was die Zahlen wirklich sagen

  1. Der Hype erschien auch mir anfangs nervig. Allerdings brachte das „Mehr“ an Licht einige atmosphärische Erscheinungen, wie Nebenmond und Mondhöfe deutlich intensiver und farbiger zur Geltung.

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