Wie Gaia die Arme der Milchstraße erahnt

Der Blick von oben auf die Milchstraße in der Nähe der Sonne (in der Mitte; linke Skala: Entfernung vom Zentrum der Milchstraße in Kiloparsec = 3262 Lichtjahren): Die Dreiecke sind Maser-Quellen, die drei Kurvenzüge dadurch drei nahe Spiralarme. Die grünen Punkte mit Fehlerbalken sind 2800 O-Sterne, deren Parallaxen Gaia mindestens auf 10% genau bestimmen konnte. [Xu et al.]

Anderthalb Milliarden Sterne, Millionen davon in drei Dimensionen im Raum verortet: Müsste sich aus der Datenflut des Astrometrie-Satelliten Gaia nicht ein tolles Bild der Milchstraße ‚von oben‘ zeichnen und ihre Spiralstruktur klar erkennen lassen? Dass es so leicht nicht ist, hat jetzt ein erster derartiger Versuch mit dem Data Release 2 des Projekts gezeigt.

Leider kann der Satellit Gaia zwar Sternpositionen in der Himmelsebene überall mit enormer Präzision angeben, doch in der dritten Dimension, der Entfernung, nimmt die Genauigkeit rasch ab, je weiter ein Stern entfernt ist. Die alljährliche Ellipse am Himmel, die er wegen der Erdbahn um die Sonne beschreibt, die Parallaxe, wird immer kleiner, bis sie unter die Messgenauigkeit fällt – bevor auch nur ein größerer Teil der Milchstraße durchmessen ist. Und dazu kommt noch der allgegenwärtige Staub, der im sichtbaren Licht – das Gaia nur beobachten kann – die Sehweite generell begrenzt. Anders ist das im Radiobereich, wo die Milchstraße durchsichtig ist, und so basiert das moderne große Bild der Galaxis vor allem auf Radioquellen, die Spiralarme nachzeichnen und deren Distanzen bestimmt werden können. Was besonders gut bei den kompakten kosmischen Wasser-Masern gelingt, die in der Umgebung junger massereicher Sterne hell im Radiobereich strahlen: Mittels höchstauflösender Radiobilder – Stichwort Very Long Baseline Interferometry – lassen sich ihre Parallaxen auf teilweise 10 Mikrobogensekunden genau messen und ihre Milchstraßenpositionen in Karten eintragen. Dort zeichnen sie Teile von drei nahen Spiralarmen nach (Kurvenstücke in den Grafiken oben und unten), nicht in alle Richtungen gleich gut, weil die verwendeten Radioteleskope überwiegend auf der Nordhalbkugel stehen.

Dasselbe Bild wie oben aber mit 241 ausgewählten O-Sternen aus dem Gaia-Katalog, deren Entfernungen besonders gut bekannt zu sein scheinen. Es gibt immer noch etliche Fehler – aber das geübte Astronomenauge beginnt auch, interessante Feinstrukturen zu erahnen. [Xu et al.]
Aus dem Gaia-Katalog wurden nun durch Vergleich mit anderen Listen 5772 Sterne der Spektralklassen O und B heraus gefiltert: Sie sind gleichzeitig besonders hell und so massereich, dass sie nur Jahrmillionen leben. Wenn man sie sieht, sollten sie sich also in der Regel noch in den Spiralarmen befinden, in deren Gaswolken sie entstanden sind. Für den ersten Versuch (Grafik oben) wurden alle O-Sterne mit Parallaxen besser als 10% benutzt: Es sind tatsächlich mehr Sterne in der Nähe der Maser-basierten Spiralarm-Stücke als dazwischen zu sehen, aber auch viele Artefakte. Für die untere Grafik wurden die nur O-Sterne mit schärferen Kriterien verwendet, aber erneut macht sich die zunehmende Ungenauigkeit der Entfernungsableitung mit der Distanz als scheinbar auf die Erde zentriertes Muster – „Finger Gottes“ im Astronomen-Jargon – bemerkbar: Ab etwa 4500 Lichtjahren Entfernung geht kaum noch was. Die Erkundung der Struktur der Milchstraße mit Gaia steht also erst am Anfang, aber immerhin lassen sich die Arme im Sektor links unten weiter als in den Maser-Daten verfolgen. Und auch gewisse Abweichungen von den reinen Kurven, sogenannte Sporne, deuten sich an. Aber die Frage aller Fragen – wieviele Arme sind’s denn insgesamt? – bleibt einstweilen unbeantwortet …

LINK:
Originalarbeit: https://arxiv.org/abs/1807.00315

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