Ein Radioteleskop in Spanien hat alle Zweifel beseitigt: Das Kuipergürtel-Objekt 2003 UB313 ist nicht nur derjenige Körper in der Welt jenseits des Neptun mit der grössten bekannten absoluten Helligkeit – sondern auch im Durchmesser deutlich grösser als der Pluto. Letzterer steht allein deswegen um mehrere Magnituden heller am Himmel, weil seine Bahn niemals auch nur annähernd so weit von der Sonne fortführt. 3000±300±100 km lautet die erste direkte Durchmesserbestimmung des immer noch namenlosen Super-Plutos, wobei der erste Fehler statistischer und der zweite systematischer Art ist: Rund 700 km oder 1/3 grösser als Pluto ist damit der Neuzugang, der mit einer Albedo von 60±12% und ebenfalls Methaneis auf seiner Oberfläche geradezu eine grössere Kopie des Altbekannten darstellt. Lediglich sein Mond kann nicht mit dem Format Charons mithalten.
Die Entscheidung ist damit nicht mehr aufzuschieben: Entweder belässt man es bei Plutos rein historisch bedingter Einstufung als Planet, dann muss UB313 erst recht einer sein. (Alan Stern, der Chef der Pluto-Sonde New Horizons, sprach übrigens auf einer Pressekonferenz kurz vor deren Start beiläufig und wie selbstverständlich von 17 Planeten, vier terrestrischen, vier Gasriesen und 9 »Eiszwergen«, ohne die Kriterien für deren Untergrenze zu erläutern.) Alternativ könnte man die Kriterien für’s Planetensein erheblich verschärfen und UB313 und Pluto gleichermassen diesen Titel verweigern. Einzig die weniger (aber verglichen mit anderen Planeten immer noch reichlich) elliptische Bahn des letzteren, die eine durchweg hohe scheinbare Helligkeit am Erdhimmel garantiert, zeichnet Pluto nun noch unter den anderen großen Kuiperoids aus, ein ziemlich schwaches Kriterium. Die zuständigen Gremien der Internationalen Astronomischen Union beraten schon seit Monaten, ziemlich kontrovers, wie man hört, aber da diesen August wieder eine der nur alle drei Jahre stattfindenden Hauptversammlungen der IAU (im August in Prag) ansteht, steigt die Hoffnung auf eine Entscheidung. Die, egal wie sie ausfällt, nicht jedermann schmecken wird.
Die Messung des Durchmessers von UB313 durch überwiegend deutsche Radioastronomen um Frank Bertoldi (Nature 439 [2.2.2006] 563-4) basiert auf der Wärme, die er selbst im Aphel bei 97 AU Sonnenabstand, wo er derzeit steht, noch abstrahlt – und die das 30 m große; IRAM-Radioteleskop auf dem Pico Veleta (Bild) mit dem modernen Strahlungsmesser MAMBO-2 (Max-Planck Millimeter Bolometer) bei 1,2 mm nachweisen konnte. (Bei 70µm fand ihn das Spitzer Space Telescope dagegen nicht.) Bei dieser Wellenlänge spielt reflektierte Sonnenstrahlung keine Rolle mehr, sondern nur noch die Eigenemission: 23 bis 27 Kelvin beträgt die Oberflächentemperatur, wobei die Unsicherheit vom noch unbekannten Rotationsverhalten von UB313 abhängt. Der Vergleich mit der Helligkeit im sichtbaren Licht, reflektiert von der Sonne, liefert dann die Albedo und den Durchmesser – vorausgesetzt freilich, der Himmelskörper verfügt über keine nennenswerte Atmosphäre. Selbst die sehr dünne Atmosphäre Plutos führt, wie jüngst Messungen mit einem anderen Radioteleskop zeigten, zu einer Temperatur, die mit 43 K um 10 Kelvin unter dem erwarteten Wert liegt, den man beim atmosphärelosen Charon tatsächlich gefunden hat. Bei dem viel grösseren Sonnenabstand von UB313 ist freilich keinerlei Atmosphäre mehr zu erwarten.
Auch mit dem Hubble Space Telescope wurde 2003 UB313 gerade angepeilt, und bei einer Präsentation der Bilder vom Dezember ging es einem Bericht zufolge hoch her: Nur wenige Pixel ist der Himmelskörper auf den Bildern groß, vielleicht nicht mehr als zwei – aber UB313-Entdecker Mike Brown soll bei der Veranstaltung am 25. Januar ernsthaft behauptet haben, daraus einen Durchmesser des Körpers ableiten zu können, der praktisch mit dem Plutos identisch wäre. Bei einer Albedo der Oberfläche von 92%! Gegenüber Bertoldi nannte Brown eine derart hohe Reflektivität jedoch »crazy« – und im Gespräch mit interstellarum ruderte der Caltech-Astronom am 31. Januar noch weiter zurück: »Im Gegensatz zu anderslautenden Gerüchten haben wir mit der Analyse der HST-Daten gerade erst begonnen. Wenn wir damit fertig sind, sollten wir eine sehr präzise Messung haben. Die Studie, die in Nature herauskommt, ist für jetzt die beste Information, die wir haben, wie groß und reflektierend es [UB313] ist. Die Unsicherheiten sind groß, aber das scheint mir ein solides Ergebnis zu sein.« Innerhalb eines Monats schon verspricht Brown eine detaillierte Analyse der Hubble-Daten, auf die man wirklich warten sollte.
Bertoldi zeigt sich jedenfalls erfreut über Browns Rückzieher und Lob – und betont, dass diesmal die absolute Kalibration der Radiodaten sogar besonders gut sei, weil immer Mars und Uranus in der Nähe standen und mitbeobachtet werden konnten. Als 2002 der »halbe Pluto« Quaoar entdeckt wurde, lieferten die Radioastronomie und das HST identische Durchmesser: Es gibt keinen offensichtlichen Grund, warum die Ergebnisse beim kühleren aber grösseren UB313 drastisch divergieren sollten. 2005 FY9 etabliert sich derweil als »dritter Pluto«: Nahinfrarote Spektren des absolut dritthellsten Kuiperoids durch Licandro et al. (A&A 445 [2006] L35-8) sind von denen Plutos kaum zu unterscheiden, und die Absorption durch Methaneis auf der Oberfläche ist sogar noch stärker. Auch FY9 hat einen »Rotstich«, was auf komplexe organische Verbindungen hindeutet, wie man sie Pluto und etlichen anderen Kuiperoids zuschreibt. Die große; Methanmenge, die den Vorrat Plutos noch übersteigen dürfte, macht es wahrscheinlich, dass 2005 FY9 – zu dessen Albedo es keinerlei Informationen gibt und dessen Durchmesser irgendwo zwischen 1500 und 3000 km liegen könnte; hat er ebenfalls Plutos Albedo, wären es 1600 km – ebenfalls über eine Atmosphäre verfügt. Nur das 4. Gross-Kuiperoid 2003 EL61 hat eine andere Oberflächenchemie.
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