Schwache Linsen als Werkzeug der Kosmologie

Der Gravitationslinseneffekt, bei dem die Raumkrümmung durch eine Galaxie das Bild einer anderen ziemlich genau dahinter deformiert, lässt sich – wenn man die Eigenschaften der konkreten Linse genau kennt – als regelrechtes Werkzeug verwenden, wie im vorangegangenen Artikel gezeigt. Es geht aber auch ganz anders: Das Schwerefeld all der Galaxien in relativer Nähe zu uns verformt die Gestalt von Galaxien in größerer Entfernung ein wenig, natürlich meist nur in so geringem Maße, dass man es im Einzelfall gar nicht erkennen könnte. Dies wird als »weak lensing«, schwacher Gravitationslinseneffekt, oder auch kosmische Scherung bezeichnet, und wurde vor rund 10 Jahren zum ersten Mal auf statistischem Wege nachgewiesen. Auch daraus ein verlässliches kosmologisches Werkzeug zu machen, war ein weiter Weg, doch dank umfangreicher Beobachtungen eines bekannten Himmelsfeldes, des 1,6 Quadratgrad großen COSMOS-Field, mit dem Hubble Space Telescope – 575 überlappende Aufnahmen mit der Kamera ACS, die 446000 Galaxien zeigen – verdanken wir nun auch dem weak lensing fundamentale Erkenntnisse über das Universum.

So verteilt sich die (überwiegend Dunkle) Materie im COSMOS-Feld: Der schwache Linsen-Effekt auf ferne Galaxien wurde benutzt, um die totale Massenverteilung in drei Dimensionen zu rekonstruieren. Weiße und grüne Klumpen – die Verteilung wurde geglättet – liegen uns dabei näher als rote. [NASA, ESA, P. Simon (University of Bonn) and T. Schrabback (Leiden Observatory)]
So verteilt sich die (überwiegend Dunkle) Materie im COSMOS-Feld: Der schwache Linsen-Effekt auf ferne Galaxien wurde benutzt, um die totale Massenverteilung in drei Dimensionen zu rekonstruieren. Weiße und grüne Klumpen – die Verteilung wurde geglättet – liegen uns dabei näher als rote. [NASA, ESA, P. Simon (University of Bonn) and T. Schrabback (Leiden Observatory)]

Die Bilder der Galaxien allein reichten dafür nicht: Für 194000 davon wurden – durch Messung der Rotverschiebung von der Erde aus – die Entfernungen ermittelt, um die Massenverteilung dreidimensional modellieren zu können (eine Art Tomografie; Abb.). Die optischen Eigenschaften der Aufnahmekamera, deren Artefakte Galaxienformen ebenso beeinflussen können wie der gesuchte kosmische Effekt, wurden eingehend studiert. Und wie das tatsächliche schwache Linsen-Muster mit den Eigenschaften des Kosmos zusammen hängt, wurde anhand von 288 Simulationsrechnungen abgesichert. Am Ende stand fest: Auch im weak lensing steckt wieder – mit über 90% Sicherheit – ein unabhängiger Beleg für eine beschleunigte Expansion des Alls (und nebenbei auch für die Richtigkeit der Allgemeinen Gravitationstheorie). Der Haupteffekt der Dunklen Energie und ihres Auseinandertreibens des Kosmos ist dabei die Unterdrückung des Wachstums großräumiger Strukturen. Die begrenzten Ausmaße des COSMOS-Feldes am Himmel sorgen zwar dafür, dass sich die kosmologischen Schlussfolgerungen darüber hinaus in Grenzen halten, aber aus ähnlichen Analysen kommender Himmelsdurchmusterungen mit hoher Bildschärfe – und eingehendem Verständnis aller Störeffekte – sollten sich recht scharfe Aussagen über das Wesen der Dunklen Energie ableiten lassen.

Daniel Fischer

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