Mit Gravitationslinsen zu einer besseren Hubble-Konstanten

Die heutige Expansionsgeschwindigkeit des Universums, die Hubblekonstante H0, ist eine der fundamentalen Größen der Kosmologie, und noch in den 1990-er Jahren streuten die Ergebnisse gewaltig: Schlechte Messungen und unerkannte systematische Fehlerquellen sorgten dafür, dass die Werte um einen Faktor von fast 2 auseinander fielen. Damit waren natürlich auch Aussagen über das Alter des Kosmos oder seine kritische Dichte – kommt die Expansion zum Erliegen oder nicht? – entsprechend ungenau, und so ziemlich jedes kosmologische Modell konnte noch vertreten werden.

Das Gravitationslinsensystem B1608+656, aufgenommen mit der ACS-Kamera des Hubble Space Telescope: Die Bilder der Quellgalaxie sind hier mit A-D bezeichnet, die beiden Linsengalaxien mit G1 und G2. [NASA/STScI, ESA, S. H. Suyu (University of Bonn), P. J. Marshall (Stanford University)]
Das Gravitationslinsensystem B1608+656, aufgenommen mit der ACS-Kamera des Hubble Space Telescope: Die Bilder der Quellgalaxie sind hier mit A-D bezeichnet, die beiden Linsengalaxien mit G1 und G2. [NASA/STScI, ESA, S. H. Suyu (University of Bonn), P. J. Marshall (Stanford University)]

All das ist mit der anbrechenden Ära der Präzisionskosmologie um die Jahrtausendwende innerhalb weniger Jahre fast verschwunden: Eine Vielzahl von Methoden liefert nun immer wieder einen Wert der Hubblekonstanten zwischen 70km/s/Mpc und 75km/s/Mpc, d.h. pro zusätzlichen 3,26 Mio. Lichtjahren entfernt sich eine Galaxie um 70–75km/s schneller von uns. Auch die Analyse der Karten der kosmischen Hintergrundstrahlung vom Satellit WMAP liefert wieder eine ähnliche Zahl – allerdings nur, wenn man zusätzlich annimmt, dass der Raum flach und die Dunkle Energie eine zeitliche Konstante ist. Zwar interessieren sich viele beobachtende Kosmologen heute mehr für die Prüfung der letzteren Behauptung, spüren also der zeitlichen Entwicklung der kosmischen Expansion nach, aber auch die möglichst unabhängige Festlegung der absoluten Skala dieser Expansion, der Hubble-Konstanten eben, hat noch ihren Wert. Üblicherweise sucht man sich dafür Himmelsobjekte in Galaxien unterschiedlicher Entfernung, deren absolute Helligkeiten oder Ausmaße man zu kennen glaubt, und baut so schrittweise die berühmte kosmologische Entfernungsleiter auf – doch die Entdeckung der Gravitationslinsen vor drei Jahrzehnten stellt auch eine im Prinzip direktere Methode zur Verfügung.

Beobachtet werden dabei Helligkeitsschwankungen des Aktiven Kerns einer Galaxie, die hinter einer anderen steht. Wenn die Geometrie passt, erreicht das Licht der hinteren Galaxie die Erde dank der Raumkrümmung durch das Vordergrundobjekt auf mehreren verschiedenen Wegen, die unterschiedlich lang sind. Wenn man die Masse und Massenverteilung der »linsenden« Galaxie kennt, lassen sich die relativen Wegdifferenzen berechnen, und wenn man den zeitlichen Versatz der identischen Lichtkurven der »gelinsten« Galaxie auf den verschiedenen Wegen messen kann, folgen sofort und ohne Entfernungsleiter die absoluten Distanzen. Anfangs lieferte diese Technik nur sehr ungenaue Ergebnisse für die Hubblekonstante, aber das Linsensystem B1608+656 (Abb.) hat nun dank sehr aufwändiger Messungen und insbesondere Charakterisierung der linsenden Galaxie ein Ergebnis mit nur 5% Fehler geliefert: 71±3 km/s/Mpc. In Kombination mit den WMAP-Karten lässt sich (unter der Annahme eines flachen Raumes) auch auf eine zeitlich ziemlich konstante Dunkle Energie schließen, ähnlich scharf wie mit den derzeit besten anderen Methoden. Noch ist B1608+656 die einzige bekannte Gravitationslinse, die sich derart gut ausmessen lässt, aber kommende Himmelsdurchmusterungen sollten noch einige Fälle mehr aufspüren.

Daniel Fischer

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