Ein ungewöhnlicher Hybride aus benutzerfreundlichem Kleinteleskop und leistungsfähiger Astrokamera nähert sich der Markteinführung, macht bereits von sich reden – und ein Prototyp des Enhanced Vision Telescope hat nun auf dem Herzberger Teleskoptreffen seine Deutschland-Premiere auf einer Starparty absolviert: Trotz nicht einmal besonders klaren Himmels machte er das fazinierende Konzept greifbar und konnte mit den französischen Erfindern ausgiebig diskutiert werden, die dabei auch selbst wertvolle Erfahrungen sammelten.
Der Prototyp, mit dem Arnaud Malvache und Laurent Marfisi von Unistellar eigens aus Marseille eingeflogen und in der Nacht vom 22. zum 23. September im südbrandenburgischen Jeßnigk angekommen waren, teilt mit dem fertigen Produkt weder Form noch Funktionalität in Sachen Benutzerführung: Das Einstellen und Nachführen auf Himmelsobjekte zog sich hin, aber das Ausharren lohnte sich. Denn was bereits fertig entwickelt ist, überzeugte: Die in ein kurzbrennweitiges 114-mm-Spiegelteleskop integrierte Farbkamera und ein direkt daran montiertes hochwertiges Display mit enormem Dynamikbereich, das über eine Lupe wie durch ein Okular betrachtet wird, lieferten zusammen mit Stacking-Software binnen weniger als einer Minute detailreiche und vor allem farbige Bilder von Deep-Sky-Objekten, die selbst ein wesentlich größeres Teleskop bei direktem Blick am gegebenen Himmel nicht zeigen würde.
Beim Prototypen war die Integrationszeit pro Einzelbild auf 10 Sekunden eingestellt, und bereits das erste zeigte bei den meisten Objekten schon wesentliche Details, die mit der Addition der folgenden Bilder an Kontrast und vor allem Farbigkeit weiter zulegten. In der Endversion wird man mit kürzeren Belichtungen beginnen, um das Objekt dynamischer und auch dramatischer aus dem Nichts auftauchen zu lassen: Das Beeindrucken des Benutzers – vor allem jener verbreiteten Spezies, die den meisten Deep-Sky-Objekten im Okular nicht viel abgewinnt – ist der Kernzweck des Enhanced Vision Telescopes. Wahlweise wird die Benutzung ganz einfach oder beliebig kompliziert sein: Gesteuert wird das fertige Gerät nämlich über eine App auf einem Smartphone, wobei zwischen einer quasi vollautomatischen Version und einer mit zahlreichen manuellen Eingriffsmöglichkeiten gewählt werden kann.
Identisch wird aber das vollautomatische Alignment der speziell entwickelten azimutalen Montierung sein, die nicht mal perfekt waagerecht aufgestellt werden muss. Sie wird mit Optik und Kamera eine Einheit bilden, drei weit von einander entfernte Himmelsfelder ansteuern, die Sternfelder (anhand eines großen Sternkatalogs) selbstständig erkennen und so die räumliche Orientierung des Teleskops bestimmen. Die ist nicht nur für das Anfahren der vom Benutzer gewünschten Beobachtungsobjekte wesentlich sondern auch für die – allein von der Stacking-Software und ohne bewegliche Teile im Teleskop – realisierte Derotation des Bildfelds: Sie ist bei azimutalen Montierungen nötig, damit die Einzelbilder in der Summe perfekt aufeinander passen. Im Prinzip können dies beim EVT beliebig viele sein, aber erfahrungsgemäß ist der Zugewinn nach den ersten Minuten gering.
Ein nicht zu verschweigender Nachteil des Enhanced Vision Telescope der ersten Generation ist allerdings der fixe Abbildungsmaßstab, den Chipgröße und Brennweite vorgeben: Der Ringnebel erscheint zwar bunt aber doch reichlich klein, der Hantelnebel und die ‚Zigarrengalaxie‘ M 82 passen schon besser, der Orionnebel hat die Idealgröße (und Flächenhelligkeit), was ihn zu einem der Paradeobjekte für das EVT schlechthin machen dürfte, die Plejaden sind zu groß. Später einmal soll es auch Versionen mit größeren Optiken geben oder auch frei mit existierenden Teleskopen kombinierbare Ausführungen – dann allerdings muß perfekte Zusammenarbeit mit der Steuerung der Montierung garantiert sein, von der die Funktionalität des Gesamtsystems zwingend abhängt.
Ist das EVT nun eine ferngesteuerte Kamera oder ein Teleskop im klassischen Sinne? Die Erfinder legen Wert auf die Einordnung als richtiges Fernrohr, nur eben mit „verbessertem“ Blick in den Kosmos: Der Okular-artige Blick auf das besonders kontrastreiche und scharfe Farbdisplay direkt auf dem Tubus, während man unter dem Sternenhimmel steht, „fühlt“ sich tatsächlich anders und dem Kosmos näher an als das spätere Betrachten exakt desselben Bildes auf einem Smartphone- oder Computer-Display. Natürlich können die Summenbilder auch exportiert, weiter verarbeitet und im Netz geteilt werden, aber das Live-Erlebnis steht im Vordergrund – was wiederum bei öffentlichen Beobachtungen reizvolle Anwendungen finden könnte. Dass selbst erhebliche Lichtverschmutzung und schlechte Himmels-Transparenz quasi ‚herausgerechnet‘ und Kontrast und v.a. Farbigkeit kräftig gesteigert werden, dürfte der Zufriedenheit vieler erwartungsfroher Besucher zuträglich sein.
Und das Enhanced Vision Telescope soll – wenn es einmal ein Massenprodukt geworden ist – auch in wissenschaftliche Projekte eingebunden werden, die vor allem das kalifornische SETI Institute vorbereitet: Die von Scharen von EVTs – gezielt im Rahmen spezieller Kampagnen oder zufällig gewonnenen – Bilder, die bereits beim 11-cm-Teleskop Grenzgrößen von 16 bis 18 mag. erreichen sollen, können für Asteroiden-Astrometrie, Jupitermond-Ereignisse, Supernova-Beobachtungen und manches mehr verwendet werden. Eine ganz neue Spielart der astronomischen „Bürgerforschung“ also, bei der die Teilnehmer nicht nur Rechenzeit zur Verfügung stellen (wie bei SETI@home) oder Daten fremder Teleskope auswerten (wie beim Galaxy Zoo), sondern selbst den Himmel durchmustern. Und wann wird das EVT verfügbar sein? In den nächsten Monaten beginnt eine internationale Crowdfunding-Kampagne, um die industrielle Fertigung einleiten zu können: Wer mitmacht, darf auf die ersten fertigen Teleskope in rund einem Jahr hoffen – zu Kosten von rund 1000 Euro für das Komplettsystem aus Teleskop, Kamera, Display, Montierung und Stativ. Der spätere Straßenpreis soll dann bei 1500 bis 2000 Euro liegen.
LINKS:
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Homepage von Unistellar: unistellaroptics.com
Pressemitteilung in Deutsch: cosmicdiary.org/fmarchis/2017/09/21/das-start-up-unistellar-greift-nach-den-sternen
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