Der innerste der vier großen Jupitermonde Io ist neben der Erde der einzig bekannte Körper des Sonnensystems mit aktivem magmatischen Vulkanismus. Die Mondoberfläche zeigt sich im Wesentlichen sehr eben mit Höhenunterschieden von weniger als einem Kilometer, aber es sind auch Erhebungen von bis zu 9km Höhe bekannt, die nicht vulkanischen Ursprungs sind und vermutlich durch tektonische Prozesse entstehen. Für einiges Erstaunen sorgte die Feststellung, dass sich einige hundert heiße Stellen (Hotspots) auf der Oberfläche nicht dort befinden, wo sie sein sollten. Mit den Vorhersagen der gängigen thermodynamischen Tiefenmodelle lassen sich weder die Abweichungen, noch die dazu führenden Gründe schlüssig nachvollziehen.
Die vulkanische Aktivität auf Io wird durch Gezeitenkräfte verursacht, die den Mond regelrecht durchkneten und dadurch aufheizen. Allein die Auswirkungen der Gezeitenkräfte Jupiters auf Io sind mehr als 6000-mal stärker als die des Erdmonds auf die Erde. Die zusätzlichen Gezeitenkräfte von Europa und Ganymed liegen noch immer in der Größenordnung der des Mondes auf die Erde. Durch die gebundene Rotation von Io ist jedoch nicht die absolute Stärke der Gezeitenkräfte des Jupiters entscheidend, sondern nur ihre Änderung. Io wird durch einen Resonanzeffekt mit den Monden Europa und Ganymed, deren Umlaufzeiten im Verhältnis 1:2:4 zueinander stehen, auf eine leicht elliptische Bahn um Jupiter gezwungen, so dass die Variation der Gezeitenkräfte des Jupiters allein durch die Variation des Abstandes noch 1000-mal so groß ist wie der Einfluss der Gezeitenwirkung des Mondes auf die Erde. Aufgrund des geringen Abstandes zu Jupiter führt diese Libration in Länge des Satelliten zu periodisch wandernden Gezeitenbergen von bis zu etwa 300m Höhe. Die entsprechenden Deformationen der Erdkruste betragen lediglich 20cm bis 30cm. Wenn die Umlaufbahn von Io kreisförmig wäre, dann wären ihre Gezeitenberge unbewegt und es gäbe auf dem Jupitermond vermutlich keinen Vulkanismus.
Die genauen Auswirkungen dieser Aufheizung auf das Mondinnere sind noch nicht gänzlich verstanden. Allerdings erfreuen sich zwei Szenarien jüngst verstärkter Beliebtheit: zum einen die Aufheizung des Mondes bis tief in den Kern hinein, zum anderen die leicht favorisierte Ansicht, dass die aufgeheizte Zone lediglich eine relativ flache und plastisch verformbare Schicht unterhalb der Kruste – die sogenannte Asthenosphäre – bildet. Durch Vergleich der Positionen bekannter heißer Stellen mit den Vorhersagen verschiedener Tiefenmodelle zeigte sich ein systematischer Versatz zwischen beobachteten und vorhergesagten Vulkanpositionen, der nicht mit den derzeitigen Gezeitenmodellen in Einklang zu bringen ist. In der Regel finden die vulkanischen Aktivitäten 30° bis 60° östlich der erwarteten Positionen auf.
Neue Erklärungsansätze reichen von einer unbekannten inneren Struktur, die es der Magma ermöglicht, deutliche Distanzen zwischen den Punkten höchster Erhitzung bis zu den Regionen zurückzulegen, in denen sie die Kruste durchbrechen kann, über eine höher als erwartete Rotationsgeschwindigkeit des Mondes, bis hin zu einer fehlenden Komponente in den bestehenden Gezeitenheizungsmodellen. Eine solche Komponente könnte auf Io der Eintrag (Tiden) eines unterirdischen Magma-Ozeans sein. Ios Ozean wäre allerdings nicht wie ein Ozean auf der Erde zu verstehen. Anstatt einer komplett flüssigen Schicht ist der Magma-Ozean wahrscheinlich mehr mit einem Schwamm zu vergleichen, der mindestens 20% Silikatschmelze innerhalb einer Matrix aus langsam deformierbarem Gestein aufweist.
Lars-C. Depka
www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0012821X12006012 |
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