Verschwörungstheorie um frühe Kosmologen widerlegt

Die »Hubble-Gesetze« von Lemaître (links) und Hubble (rechts) von 1927 bzw. 1929 in identischer Form gegenübergestellt: Die Daten, die Hubble hatte, waren zwar besser, aber ein linearer Zusammenhang von Distanz (x-Achse) und Fluchtgeschwindigkeit (y-Achse) war auch schon bei Lemaître vergleichsweise klar zu erkennen. [Duerbeck & Seitter]

Die fundamentale Entdeckung der modernen Kosmologie, die Expansion des ganzen Universums mit einem direkten linearen Zusammenhang von Entfernung und »Fluchtgeschwindigkeit« einer Galaxie, wird weithin dem amerikanischen Astronomen Edwin Hubble zugeschrieben, der 1929 zum ersten Mal darüber publizierte: Schon wenige Jahre später sprach man in der Fachliteratur vom »Hubble-Gesetz« und der »Hubble-Konstanten«, die diesen Zusammenhang beschreibt. Allerdings war bereits in den fünf Jahren davor immer wieder Astronomen aufgefallen, dass sich weiter entfernte Galaxien – auf welch grobe Weise ihre Distanz auch abgeschätzt worden war – durchweg schneller von uns entfernen als nähere, und insbesondere der Belgier Georges Lemaître hatte schon 1927 klar den linearen Zusammenhang beider Größen erkannt und niedergeschrieben. Leider auf Französisch und in einer derart obskuren Zeitschrift, dass diese Arbeit fast unbeachtet blieb: Erst 1931 wurde sie erneut veröffentlicht, nun in Englisch und besser sichtbar in der Monatszeitschrift der britischen Royal Astronomical Society – aber ohne ausgerechnet die entscheidenden Sätze und Formeln, die Lemaîtres Priorität bei der Entdeckung der linearen kosmischen Expansion zeigen.

Diese Merkwürdigkeit war Historikern schon lange bekannt, aber erst diesen Sommer wurde das Interesse auch einer breiteren Öffentlichkeit geweckt: Gleich mehrere Astronomen erhoben den Vorwurf, Hubble habe die Leistung seines Vorgängers zensieren lassen oder sie gar plagiiert. Letzteres war nie glaubwürdig: Hubble hatte zu wesentlich besseren Daten Zugang und »sein« Gesetz – wenn auch kurioserweise mit fast derselben (und wie man heute weiß, völlig falschen) Steigung – selbst gefunden. Aber lange war nicht einmal der Übersetzer der Lemaître-Arbeit bekannt, und entscheidender Schriftwechsel mit der Royal Astronomical Society schien verloren. Doch nun hat ein Astronom des Space Telescope Science Institute – als Betreiber des Hubble Space Telescope durchaus an der historischen Wahrheit interessiert – in emsiger Detektivarbeit den entscheidenden Brief zu Tage gefördert: Der Übersetzer war Lemaître selbst – und er selbst war es auch, der die alten Daten und Zahlen strich, da sie durch Hubble und andere ohnehin längst überholt waren! Ihm ging es nur um die Darlegung der Kosmologie dahinter, in der er Hubble (der selbst nicht recht wusste, was sein Gesetz eigentlich bedeutete) weit voraus war.

Daniel Fischer

STScI-Pressemitteilung:
hubblesite.org/newscenter/archive/releases/2011/36/full
Nature-Kommentar:
www.nature.com/nature/journal/v479/n7372/full/479150a.html
Hintergrund (PDF):
homepages.vub.ac.be/~hduerbec/hubbleshadow.pdf

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