Neue & falsche Zahlen: „Rote Nova“ 2022 im Schwan überraschend abgesagt

Der grüne und der blaue Datenpunkt links oben haben die Vorhersage einer "Roten Nova" im Schwan für das Jahr 2022 zunichte gemacht, denn sie liegen alles andere als auf der Kurve, die die exponentielle Abnahme der Umlaufszeit zweier sich schon fast berührender Sterne beschreibt. Aufgetragen ist in der x-Achse die Zeit in Tagen und in der y-Achse die Differenz der Zeitpunkte gegenseitiger Verfinsterungen in Minuten gegenüber einer angenommen konstanten Bahnperiode. Zahlreiche Messungen der letzten 10 Jahre passten genau zu diesem Trend, namentlich Tausende Messungen des Kepler-Satelliten (hier zu wenigen Punkten zusammen gezogen) aber auch die jüngsten Messungen auf der Erde (rechts unten). Doch nun analysierte Messungen von 2003 ("Vulcan") und die Korrektur einer falsch verbuchten Messung von 1999 (ganz links) ruinieren alles ... [nach Socia et al.]

Die dramatische Vorhersage einer „roten Nova“ 2. Größe ~2022 im Schwan ist völlig überraschend von ihrem Autor zurück gezogen worden: Andere Astronomen waren auf einen fatalen Fehler bei einem kritischen alten Datenpunkt gestoßen und haben einen weiteren ebenfalls alten hinzu fügen können – und beide ruinieren rückwirkend die ganze Prognose.

Der Doppelstern KIC 9832227, bei dem sich beide Sterne schon fast berühren, schien perfekt einem Gesetz zu folgen, das die beiden um das Jahr 2022 unweigerlich zum Verschmelzen zwingen würde: Dann hätte es zum erst vor einigen Jahren eingeführten Phänomen einer „roten Nova“ kommen sollen, bei dem das sternsystem rasant um 10 Größenklassen heller geworden und als neuer Stern der zweiten Größenklasse leicht mit bloßem Auge zu sehen gewesen wäre. Die beiden Sterne bedecken einander von der Erde aus gesehen bei jedem 11 Stunden dauernden Umlauf, und die Zeitpunkte der Finsternisse lassen sich exakt messen: Die Umlaufszeit scheint seit etwa 2007 – beobachtet insbesondere vom Satelliten Kepler aber auch diversen Teleskopen auf der Erde – exponentiell ab zu nehmen, d.h. die Finsternisse folgen immer schneller aufeinander. Auch die jüngsten Zeitnahmen lagen genau auf dem Trend, und die zweite Arbeitsgruppe wollte die Prognose eigentlich nur bestätigen und präzisieren – und widerlegte sie zu ihrer eigenen Verblüffung, was der erste Autor genau so sieht.

Zum einen hatten die anderen Forscher Messungen des lange vergessenen „Vulcan“-Projekts von 2003 ausgegraben, als mit einem 10-cm-Teleskop immer wieder dasselbe Himmelsfeld – mit dem Doppelstern darin – aufgenommen worden war, um nach Jupiter-großen Planeten sonnenähnlicher Sterne zu suchen: ein irdischer Vorläufer des Kepler-Satelliten. Die Finsternis-Zeiten in dieser Messreihe wichen nun gravierend von der Trendkurve ab (blauer Datenpunkt oben) – wie konnte das sein, wo doch noch ältere Messungen von 1999 genau auf der Kurve zu liegen schienen (rotes Kreuz)? Aber das taten sie nicht, wie nun beide Arbeitsgruppen feststellen mussten: Da war während der Bearbeitung einer alten Veröffentlichung bei den Zeitangaben das Julianische und das Modifizierte Julianische Datum verwechselt worden, die sich aber um 12 Stunden unterscheiden! Kurioserweise waren in einer Vorabversion der Arbeit die Zeiten richtig, in der formell publizierten Fassung dann aber verschlimmbessert worden …

Der ganz alte Punkt liegt in Wirklichkeit noch weiter von der Trendkurve entfernt (grünes Dreieck), als der Vulcan-Punkt: Das exponentielle Gesetz trifft einfach nicht zu – und damit leider auch die Rote-Nova-Prognose für 2022. Traurig, aber immerhin eine Demonstration, wie Selbstkorrektur in der Wissenschaft funktioniert – und wie Daten aus dem Archiv eine Hypothese zu Fall bringen können, die alle neuen Daten doch zu bestätigen schienen. Die Umlaufszeit des Doppelsterns verändert sich natürlich trotzdem, sonst lägen alle Punkte auf einer Horizontalen: Sie lässt sich allerdings nun in der Gesamtschau überhaupt nicht mehr sinnvoll deuten, auch mit einem angenommenen dritten Stern im System nicht – was in KIC 9832227 derzeit passiert und demnächst passieren wird, ist herzlich unklar. In der Milchstraße sollte es allerdings alle 10 bis 50 Jahre zu einer Roten Nova kommen: Eine emsige Suche nach Vorläufersystemen kurz vor der Fusion – erkennbar an konsequent exponentieller Periodenabnahme – mittels Überwachung der Helligkeit zigtausender Sterne läuft bereits auf Hochtouren, wenn auch noch ohne viel versprechende neue Funde.

LINKS:

Press Release zum neuen Paper: https://calvin.edu/news/archive/team-of-researchers-challenge-bold-astronomical-prediction
Technische Einzelheiten: http://www.calvin.edu/observatory/MergingStar/2018Update.html
Das ursprüngliche Paper: http://iopscience.iop.org/article/10.3847/1538-4357/aa6ba7/meta

1 Kommentar zu Neue & falsche Zahlen: „Rote Nova“ 2022 im Schwan überraschend abgesagt

  1. Eigentlich schade, hatte mich schon gefreut. Aber: Warum sollten wir eigentlich nicht auf einen Crash schließen, wo doch die aktuellsten Daten ziemlich eindeutig in diese Richtung gehen???

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