Moderner Kosmologietest mit moderaten Amateurteleskopen

Ohne riesige Teleskope am Boden, Satellitensternwarten und exotische Wellenlängen geht es nicht, wenn es um die Überprüfung der modernen Kosmologie mit ihrer Dunklen Materie und Dunklen Energie (»ΛCDM oder Lambda-CDM«) geht – generell ist diese Auffassung richtig und sogar eine treibende Kraft hinter kommenden Milliardeninvestitionen der weltweiten Astronomie. Aber es geht auch ganz anders, haben jetzt Heidelberger und Bochumer Astronomen gezeigt: Eine konkrete Voraussage des ΛCDM-Modells lässt sich nämlich schon mit verblüffend kleinen Teleskopen und auch noch am besten im sichtbaren Licht testen! Galaxien sind in diesem Modell in der Frühzeit des Kosmos »hierarchisch« durch Verschmelzen kleinerer Bausteine entstanden: Die große Zeit der Fusionen ist schon seit Jahrmilliarden vorbei, aber auch die heutigen, also nahen und damit gut im Detail zu untersuchenden, Galaxien »schlucken« immer noch nahe Zwerggalaxien aus ihrer Umgebung. Diese werden dabei auseinander gerissen und hinterlassen in den Halos der großen Galaxien kuriose und vor allem sehr ausgedehnte Strukturen aus dünn verteilten Sternen weit jenseits der galaktischen Scheiben. Unterschiedliche Kosmologien sagen dabei aber verschiedene Muster und statistische Eigenschaften dieses Phänomens voraus: Hat man derartige »tidal streams« (dt. Gezeitenströme) bei einer größeren Zahl von heutigen Galaxien untersucht, lässt sich ein unabhängiger Test von ΛCDM durchführen.

Am Heidelberger MPI für Astronomie hat man nun eine »Pilotstudie« durchgeführt und tiefe Aufnahmen von acht Galaxien gewonnen, bei denen schon aus der Literatur bekannt war, dass in ihrem Umfeld etwas Interessantes vorgeht. Und zwar nicht bei der ESO oder dem Calar Alto: Stattdessen »beauftragten« die Heidelberger drei Amateursternwarten in den USA und Australien mit den Aufnahmen, für die übliche CCD-Kameras und Teleskope mit Öffnungen von 51cm und 37cm zum Einsatz kamen – und in einem Fall gar ein 16cm-Refraktor, weil ein Gesichtsfeld von einem halben Grad benötigt wurde! Wichtig waren lediglich dunkler Himmel, lange Belichtungszeiten und sorgfältige Bildverarbeitung, um die schwachen Sternströme sauber herauszuarbeiten: In allen 8 Fällen waren sie in der Tat vorhanden und haben eine enorme Formenvielfalt (die schon einmal im Einklang mit ΛCDM-Simulationen steht). Unabhängig von diesem Projekt, das nun systematisch – und wieder in Zusammenarbeit mit Amateurastronomen – weiter geführt wird, haben Astronomen an der Ruhr-Universität Bochum zahlreiche tiefe Aufnahmen bereits vorhandener Himmelsdurchmusterungen, insbesondere der Sloan Digital Sky Survey, extremer Bildverarbeitung unterzogen. Und bei 474 Galaxien in immerhin 126 Fällen bislang durchweg übersehene Strukturen außerhalb der hellen Scheiben nachgewiesen, wovon mindestens ein Viertel ebenfalls Sternströme sind, wie sie auf der heute zu Ende gehenden Tagung der Astronomischen Gesellschaft in Bonn berichten konnten.

Daniel Fischer

Das Heidelberger Projekt:
www.cosmotography.com/images/stellar_stream_survey_overview.html
Die Pilotstudie:
arxiv.org/abs/1003.4860
Pressemitteilung des MPIA dazu:
www.mpia.de/Public/menu_q2.php?Aktuelles/PR/2010/PR100907/PR_100907_de.html
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