Mit „Standard-Sirenen“ den Kosmos vermessen: Kilonovae machen’s möglich

Künstlerische Darstellung der unmittelbaren Folgen der Verschmelzung zweier Neutronensterne: Ein neues Objekt - ein besonders dicker Neutronenstern oder ein kleines Schwarzes Loch - ist entstanden, umgeben von einer Explosionswolke. Und aus dem Chaos schießen zwei superschnelle und scharfe Strahlen in den Raum: Aus deren Wirkung auf umliegendes Gas lässt sich wiederum auf die räumliche Orientierung des ganzen Systems schließen - entscheidend für seine Nutzung als kosmologisches Werkzeug. [NASA/CXC/M.Weiss]

Die erste klare Beobachtung einer Kilonova mit Gravitationswellen und elektromagnetischer Strahlung ist nicht nur ein Meilenstein für die Astrophysik: Sie eröffnet die Möglichkeit, quasi mit dem ‚Aufschrei‘ solcher Neutronenstern-Fusionen Entfernungen zu spezifischen Galaxien zu messen – und damit die Expansion des Universums auf einem völlig neuen Weg zu bestimmen. Aktuelle Widersprüche bei der Ermittlung dieser Hubble-Konstante könnten auf diesem Weg aufgelöst werden, aber auch andere neue Methoden stehen in den Startlöchern.

Bisher hat die Astronomie Entfernungen zu fernen Himmelskörpern überwiegend mit sogenannten „Standardkerzen“ bestimmt: Die absolute Helligkeit bestimmter Klassen von Objekten wird in der Milchstraße oder in nahen Galaxien mit bekannter Entfernung geeicht, und aus ihrer scheinbaren Helligkeit derselben Objekten in fernen Galaxien folgt direkt deren Entfernung. Supernova-Explosionen des Typs Ia sind eine solche Standardkerze, die die Vermessung des Universums enorm voran gebracht hat. Seit aber auch Gravitationswellen von kosmischen Ereignissen gemessen werden können, steht im Prinzip eine ganz neue Methode zur Verfügung: Das Wellenmuster verschmelzender Schwarzer Löcher oder Neutronensterne lässt sich direkt berechnen, und die Entfernung ergibt sich dabei ganz von selbst. Bei den vier bisher registrierten Schwarzloch-Fusionen half das der Kosmologie wenig, da die Galaxien nicht bekannt sind, wo es passierte: Damit fehlt die Information über deren ‚Fluchtgeschwindigkeit‘, und die Hubble-Konstante ist nicht zu bestimmen. Anders aber bei der ersten beobachteten Fusion zweier Neutronensterne, deren ‚Geräusch‘ die Erde am 17. August erreichte: Hier ist dank des eindeutig identifizierten optischen Gegenstücks, der Kilonova, die Galaxie des Tatorts bekannt – von der man wiederum weiß, dass sie mit (korrigiert für lokale Einflüsse) ziemlich genau 3000 km/s davon eilt.

Fehlt noch die Entfernung der Kilonova, und da gibt es ein Problem: Die Interpretation der Gravitationswellen-„Sirene“ hängt stark von dem Winkel ab, unter dem wir auf die Bahnebene der Neutronensterne vor der Fusion schauten. Nach einer ersten Analyse fiel der Blick recht genau von oben auf das Paar: Dann wäre es 44 (+3/-7) Mpc oder rund 140 Mio. Lichtjahre entfernt gewesen, und die resultierende Hubble-Konstante läge um 70 (+12/-8) km/s/Mpc. Falsch, sagte aber bereits am nächsten Tag eine andere Arbeit, die sich im Detail mit der Radio- und Röntenstrahlung nach der Fusion beschäftigte, verursacht von senkrecht zur Bahnebene aus dem System heraus schießenden Jets (Grafik oben). Demnach war der Blick auf das System deutlich schräger gewesen, es war weniger weit entfernt – und die Hubble-Konstante beträgt eher 76 (+14/-7) km/s/Mpc. Die Ungenauigkeit allein in der Distanzbestimmung reduziert sich mit den zusätzlichen Informationen über den Blickwinkel von 15 auf 12 km/s/Mpc: immer noch fast 10-mal schlechter als was die Typ-Ia-Supernovae in den neuesten Analysen schaffen, 1,7 km/s/Mpc, aber dafür basiert die Auswertung auch auf exakt einer einzigen Kilonova. Mit 50 solchen Ereignissen – die LIGO und Co. nach der aktuell gerade stattfindenden weiteren Verbesserung in ein paar Jahren im Kasten haben könnten – könnten die Standard-Sirenen mit den Standard-Kerzen gleich ziehen.

Quo vadis, Hubble-Konstante? Im Laufe dieses Jahrhunderts sind die „lokalen“ Bestimmungen (blau) und die Ableitungen aus der kosmischen Hintergrundstrahlung (rot) statistisch immer genauer geworden – und passen gleichzeitig immer weniger zusammen. Neue Methoden – unter anderem auch mit Gravitationswellen – können diese „Spannung“ vielleicht in absehbarer Zeit auflösen. [Wendy Freedman]
Während der erste Wert von rund 70 genau zwischen die beiden Trends bei der Bestimmung der Hubble-Konstanten fällt, die derzeit für gehörige „Spannung“ in der Kosmologie sorgen, spricht der zweite marginal für eine hohe Hubble-Konstante, wie sie u.a. auch die Standardkerze Ia-Supernovae bevorzugt. Interessanterweise scheinen auch die großräumige Anordnung der Galaxien und ihre gegenseitigen Gravitationslinsen-Effekte – beobachtet von der Dark Energy Survey – für eine Korrektur der niedrigen Hubble-Konstanten aus der Analyse der kosmischen Radio-Hintergrundstrahlung nach oben zu sprechen. Und auch eine ganz neue Bestimmung der kosmischen Expansion über eine völlig andere Standardkerze – die zwei direkt bei vielen Galaxien messbare und miteinander eng zusammen hängende Eigenschaften ausnutzt – liegt mit 71,0±3,5 km/s/Mpc eher im hohen Bereich: Sie basiert bereits auf Dutzenden Galaxien für Eichung wie Expansionsmessung und sollte bald ein noch klareres Ergebnis liefern. Noch ist es zu früh, eine baldige Auflösung der ‚Spannung‘ um die Hubble-Konstanten zu verkünden, aber es erscheint nun wieder wahrscheinlicher, dass keine ’neue Physik‘ sondern subtile systematische Effekte dahinter stecken: Der Kosmos macht es eben gerne spannend …

LINKS:

1. Paper zur Hubble-Konstanten aus GW: https://arxiv.org/abs/1710.05835
2. Paper zur Hubble-Konstanten aus GW: https://arxiv.org/abs/1710.06426
Paper zur Analyse der Dark Energy Survey: https://arxiv.org/abs/1708.01530
Paper zur neuen Hubble-Methode: https://arxiv.org/abs/1710.05951
Review zur Hubble-Konstanten: https://arxiv.org/abs/1706.02739

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