Lange hat es gedauert, bis die Saison 2016 der leuchtenden Nachtwolken in Fahrt gekommen ist – aber in der Nacht vom 5. zum 6. Juli ist es dann passiert: Mehrere Stunden am Abend und erst recht am Morgen strahlten über dem deutschsprachigen Raum die Eiswolken der Mesosphäre im Licht der Sonne unter dem Nordhorizont, am Ende bis in den Zenit.
Dass dies die Nacht der Nächte werden könnte, hatte sich bereits am frühen Abend abgezeichnet: Webcams aus Regensburg und sogar den Alpen zeigten beeindruckende weißliche Wolken am Dämmerungshimmel, deren Form keinen Zweifel ließ, das es sich um jene nur in den Sommermonaten auftretenden Wolken in über 80 km Höhe handelt, auf die viele seit Ende Mai vergebens gelauert hatten. Im Deutschen werden sie als Leuchtende Nachtwolken. im Englischen als Noctilucent Clouds, kurz NLC, bezeichnet, aber beides passt nicht ganz: Diese Wolken leuchten nicht selbst sondern im Licht der Sonne, die sie wegen ihrer großen Höhe noch in der tiefen Dämmerung erreicht. Und sie können sich zu jeder Tageszeit bilden, wenn Temperatur, Restfeuchte und Kondensationskeime in der oberen Erdatmosphäre passen, wobei sie tagsüber aber unsichtbar bleiben – außer für spezielle Radaranlagen wie das OSWIN („Ostsee-Wind-Radar“) des Leibniz-Instituts für Atmosphärenphysik in Kühlungsborn an der Ostsee, auf dessen im Internet frei zugänglichen Daten-Plot sich im Sommer viele Augen richten. „OSWIN hat bis nach 21 MESZ recht kräftige Echos gezeigt“, war am 5. Juli in einem einschlägigen Internet-Form des Arbeitskreises Meteore zu lesen: „Damit ist praktisch sicher, dass es – da wohl der Himmel klar ist – gleich NLCs zu sehen gibt. Wahrscheinlich nicht nur im Norden Deutschlands – und die Chancen auf ausgedehntere und hellere Displays stehen gut.“
Die NLC kamen wie bestellt, nur mit dem Wetter war es dann so eine Sache: Mancherorts waren sie nur am Abend, anderswo nur am Morgen ohne ‚gewöhnliche‘ Wolken davor zu sehen. Drei Faktoren bestimmen ansonsten die Sichtbarkeit Leuchtender Nachtwolken und machen jede Nacht zu einem neuen Abenteuer: die Dichte und Ausdehnung der Eisteilchenschleier, ihre Bewegung durch Höhenwinde – und die Beleuchtung durch die Sonne. Gegen Mitternacht wahrer Ortszeit steht sie fast überall zu tief unter dem Nordhorizont, um die Wolken zu beleuchten, aber in der Abend- und Morgendämmerung ist die Geometrie ideal. Wie sich das Bild in mehreren Stunden am Morgen veränderte, zeigt lehrbuchreif das unten verlinkte Zeitraffer-Video aus der Nähe von Bonn: Erst bilden die NLC nur eine Walze direkt am Horizont, dann quellen sie auf, bis der halbe Himmel voll von ihnen ist – fast alles nur eine Konsequenz des Sonnenstands und nicht ihrer Entwicklung selbst.Gleichwohl bewahrheitete sich auch in dieser faszinierenden Nacht wieder der empirische Lehrsatz, dass auf ein gutes „Display“ am Abend ein noch besseres am Morgen zu folgen pflegt. Und diesmal reichten die Wolkenschleier nicht nur bis in den Zenit, was in Mitteleuropa eine Rarität ist, die letzten Reste waren noch mit der Sonne nur noch 4° unter dem Horizont zu erspähen. Eine gute Nacht sorgt bei den NLC leider nicht für eine Zugabe in der nächsten: Am Abend des 6. Juli wurden überhaupt keine Leuchtenden Nachtwolken über dem deutschsprachigen Raum gesichtet, und es ist bisher auch praktisch kein brauchbarer Zusammenhang zwischen Displays aufeinander folgender Nächte bekannt. Aber die Saison dauert ja noch einen guten Monat, und wie das Beispiel der vergangenen Nacht zeigt, kann sich das Ausharren bis in die Morgenstunden lohnen.
Daniel Fischer
LINKS:
Berichte aus der Nacht 5./6. Juli: http://forum.meteoros.de/viewtopic.php?f=34&t=56672
Zeitraffer-Video: https://www.youtube.com/watch?v=iusDvZQptj4
Bild-Protokoll: https://diary4dan.wordpress.com/2016/07/06/nlc-protokoll-eines-erstaunlichen-morgens
Vorhersage von NLCs: http://www.leuchtende-nachtwolken.info/vorhersage.htm
Diskussion der OSWIN-Situation: http://forum.meteoros.de/viewtopic.php?f=34&t=56527
Bekanntlich produziert der Flugverkehr nicht nur Kondensstreifen sondern auch Wolken, die tagsüber im Gegenlicht der Sonne nicht immer sichtbar sind. Durch Einfach-, Doppel-, oder Mehrfachreflexion der Sonnenstrahlung kommt es zu diesem Effekt, der zusätzlich klimawirksam ist.