Hundert Jahre ist die Allgemeine Relativitätstheorie jetzt alt, die Albert Einstein im November 1915 veröffentlicht hatte: Da machte es auch nicht mehr viel aus, dass die überwiegend französischen Physiker hinter dem Projekt Microscope geschlagene vier Stunden warten mussten, bevor die Fregat-Oberstufe einer in Französisch-Guyana gestarteten Soyuz-Rakete endlich ihren kleinen Satelliten aussetzen konnte. ‚Microscope‘ war die letzte von fünf Nutzlasten gewesen, die auf drei verschiedene Bahnen zu bringen waren: Der „MICROSatellite à trainée Compensée pour l’Observation du Principe d’Équivalence“ – etwa: „Luftreibungs-kompensierter Mikrosatellit für die Beobachtung des Äquivalenzprinzips“ – soll nun die Grundlage der Allgemeinen Relativitätstheorie überhaupt überprüfen, die Äquivalenz von schwerer und träger Masse. Damit ist gemeint, dass alle Körper derselben Masse gleich schnell fallen, egal aus welchem Material sie bestehen. Dass bereits Galileo Galilei dies bei Fallversuchen am Schiefen Turm von Pisa gezeigt haben soll, ist eine von vielen Legenden über den Physiker, aber seine Nachfolger haben dieses Äquivalenzprinzip tatsächlich mit immer ausgefeilteren Laborversuchen getestet. Heute ist sicher, dass das Prinzip bis auf einen Teil in 10 hoch 13 stimmt – und Microscope soll den Test nun innerhalb von ein paar Monaten bis auf 1:10^15 treiben.
Die Idee hinter Microscope – einer abgespeckten Version des Satellitenprojekts STEP, um das bereit seit den 1980-er Jahren vergeblich gekämpft wurde – ist bestechend simpel: Jeder Körper im Orbit um die Erde „fällt“ permanent, und nur die Zentifugalkraft hält ihn auf der Bahn. An Bord sind zwei Zylinder, aus Titan bzw. einer Platin-Rhodium-Legierung: Elektrostatische Kräfte halten beide in perfekter Ruhe relativ zum Satelliten, der die leicht bremsende Wirkung der oberen Atmosphäre mit superpräzisen Kaltgasdüsen exakt ausgleicht. Gilt das Äquivalenzprinzip, „fallen“ die beiden Massen genau gleich schnell, ist es aber verletzt, erfahren sie leicht unterschiedliche Beschleunigungen. Beide Ergebnisse wären für die Physik erfreulich: Im ersten Fall wäre die ohnehin schon vielfach abgesichterte Allgemeine Relativität – Grundlage auch der modernen Kosmologie – noch besser als je zuvor bestätigt. Käme es aber zu einer signifikanten Verletzung des Äquivalenzprinzips, wäre das Tor zu einer ‚Neuen Physik‘ jenseits von Einstein aufgestoßen, nach der sich viele Theoretiker sehnen und die selbst Mega-Projekte wie der Large Hadron Collider noch immer nicht geliefert haben. Es wären die ersten konkreten Hinweise auf eine neue, übergreifende Theorie, die insbesondere die Relativitäts- mit der Quantentheorie und alle fundamentalen Naturkräfte zusammen bringen könnte. Und Nachfolger Microscopes mit einer Präzision von bis zu 1:10^18 sind auch schon in Vorbereitung.
Daniel Fischer
LINKS:
Homepage (englisch): https://microscope.cnes.fr/en/MICROSCOPE/index.htm
Hintergrund: https://news.cnrs.fr/articles/the-principle-of-equivalence-put-to-the-test
Kleine deutsche Rolle: https://www.zarm.uni-bremen.de/pressmedia/single-view/article/putting-einstein-to-the-test.html
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