Der erste Daten-Schwall vom ESA-Himmelskartierer 2016 war nur ein kleiner Vorgeschmack: Heute ist mit dem Data Release 2 das volle Potenzial des Astrometrie-Satelliten Gaia greifbar geworden, auch wenn die Daten immer noch gewissen Macken aufweisen. Die astronomische Fachwelt greift bereits so begierig auf die Datenserver zu, dass sie kaum mithalten können – und ein paar frühe Auswertungen noch während der Aufbereitung der Messungen lassen erahnen, was alles möglich ist.
Vor zwei Jahren waren im Wesentlichen „nur“ die Positionen von 1,14 Milliarden Sternen geliefert worden, mit weiterführenden Daten (durch Einbeziehung der Vorgängermission Hipparcos) für nur 2 Millionen von ihnen. Aber nun sind die ersten 22 Monate Messungen Gaias ausgewertet, und alle Resultate basieren allein auf ihnen: Das Herz des „DR2“ sind die superpräzisen Himmelspositionen und Eigenbewegungen und Parallaxen von 1331909727 Sternen bis zur 21. Größe. Im Prinzip lassen sich aus den Parallaxen – den winzigen jährlichen scheinbaren Ellipsenbewegungen der Sterne wegen der Erdbahn um die Sonne – die Entfernungen der Sterne ablesen, aber da der Effekt für ihre Mehrzahl selbst für Gaia noch grenzwertig ist, dürften brauchbare Distanzen „nur“ für rund hundertmillionen Sterne abzuleiten sein. Für rund 300 Mio. weitere Sterne hat Gaia ohnehin nur Positionen liefern können, aber auch sie sind Teil des Data Release 2: Insgesamt enthält er also die Orte und Breitband-Helligkeiten von 1,69 Milliarden Sternen. Für fast 1,4 Milliarden dieser Sterne hat Gaia aber auch Blau- und Rot-Helligkeiten geliefert, von 161 Millionen ist nun die Oberflächentemperatur bekannt, für 88 Millionen lässt sich berechnen, wieviel Staub in der Sichtlinie liegt, von 77 Millionen Sternen waren Leuchtkraft und Durchmesser zu ermitteln, und für 7,2 Millionen (bis zur 13. Größe) maß Gaia mit seinen eingebauten Spektrografen auch noch die Radialgeschwindigkeit: Ihre Bewegung im Raum ist damit komplett beschrieben.
Würde man den gesamten Katalog in ähnlicher Weise ausdrucken wie einst den von Hipparcos (sechs dicke Bände) wären es rund 70000 Bände oder 17 Mio. Blatt Papier – und der finale Gaia-Katalog wird, vermutlich im Jahr 2022, nochmals erheblich größer sein und etwa ein Petabyte (also 1000 TB) Material umfassen. Schon jetzt hat Gaia 45 Monate lang gemessen und dabei gerade seine einbillionste Sternposition geliefert (dieselbe Milliarde Sterne wird wieder und wieder angepeilt, um die Genauigkeit ständig weiter zu verbessern), und die gesamte Mission dauert 5 Jahre – mindestens, eine erste Verlängerung scheint fast sicher. Wie schon vor dem Data Release 1 sollten sich die beteiligten Wissenschaftler auf die Aufbereitung der Daten für deren Nutzung durch die gesamte astronomische Gemeinschaft konzentrieren, der sie nun über mehrere – prompt heftig belastete – Serverfarmen zur Verfügung stehen. Aber ein bisschen Wissenschaft ist dabei natürlich schon abgefallen: So entspricht etwa das dreidimensionale Muster der Sternbewegungen in Sonnennähe nicht den Erwartungen und deutet auf ein störendes Ereignis hin, vielleicht den Einsturz einer Zwerggalaxie. Umso schöner dagegen das geordnete Muster der Sternbahnen in der Großen Magellanschen Wolke: Die mehr als 7 Millionen Einzelsterne, die Gaia in dem kleinen Nachbarn der Milchstraße unterscheiden kann, zeichnen die Rotation dieser gar nicht so irregulären Galaxie nach. „Stern“ steht hier übrigens für jedwede kosmische Quelle, die Gaia als einen isolierten Punkt erkennen verorten konnte: Darunter sind auch eine halbe Million Quasare, also die hellen Kerne ferner Galaxien. Das ist kein Nachteil: Radioastronomen haben das Muster der Quasare am Himmel bereits extrem genau vermessen und benutzen es als Referenz für andere Positionsbestimmungen, nun kann über Gaia auch die optische Astronomie an dieses Koordinatennetz andocken. Bei den echten Sternen sorgen bereits Farben-Helligkeits-Diagramme für Aufsehen, die Gaia nebenbei für Millionen Sterne der Nachbarschaft der Sonne erstellt hat: Sie zeigen natürlich die bekannten großen Muster wie die ‚Hauptreihe‘ der Sterne – je blauer, desto heller – aber mit Feinheiten, die bislang nicht deutlich waren. Und selbst ganz nahe Himmelkörper nimmt Gaia mit: Während der Gesamtmission dürften rund 300000 Asteroiden erfasst werden, und im Data Release 2 wird schon mal eine Auswahl mitgeliefert. Ihre Himmelspositionen sind dabei natürlich viel genauer als bei der üblichen Astrometrie vom Erdboden aus, was interessante Folgen für die Bahnbestimmung und hat und damit z.B. wiederum die Suche nach Verwandschaftsbeziehungen (also Asteroiden, die als Trümmer desselben Ursprungskörpers eine ‚Familie‘ bilden). Das Abenteuer Gaia DR 2 hat nun begonnen – und schon heute Nacht wird mit weiteren Auswertungen gerechnet.LINKS:
Der Data Release 2 für Forschung wie Öffentlichkeit: https://www.cosmos.esa.int/web/gaia/data-release-2
Wissenschaftliche Papers: https://www.aanda.org/component/toc/?task=topic&id=922
ESA Release: http://www.esa.int/Our_Activities/Space_Science/Gaia/Gaia_creates_richest_star_map_of_our_Galaxy_and_beyond
PM des MPIA: http://www.mpia.de/aktuelles/wissenschaft/2018/2018-05-gaia-dr2
Animationen: https://www.youtube.com/playlist?list=PLTUZKJKqW_n8TxW2jGYeD1vMzCbfYJna-
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