Geisterhafte Zwerggalaxie Antlia 2: ziemlich nah, riesig – und fast unsichtbar

Drei Galaxien im schematischen Vergleich: in der Mitte eine typische Spiralgalaxie vom Format der Milchstraße, links im selben absoluten Maßstab ihr größter direkter Nachbar, die Große Magellansche Wolke - und rechts angedeutet Antlia 2, genau so groß aber dramatisch lichtschwächer. [V. Belokurov mit Bildern von Marcus & Gail Davies und Robert Gendler]

Schon wieder eine erstaunliche Entdeckung im zweiten Data Release des Gaia-Projekts: Diesmal wurde aus den Milliarden von Sternen des Katalogs eine erstaunlich große Nachbargalaxie vom Format der Großen Magellanschen Wolke heraus gepickt – die ZwerggalaxieAntila 2„, die freilich 4000-mal lichtschwächer ist und daher auf normalen Himmelsaufnahmen schlicht nicht auftaucht.

Doch der Gaia-Satellit macht eben keine Bilder sondern erstellt einen gigantischen Sternkatalog – mit den Helligkeiten, groben Farben, Entfernungen und Eigenbewegungen von über einer Milliarde Sternen, und das nicht nur in der Milchstraße selbst sondern auch jenseits ihres Randes. Diesen Datenberg gilt es nun effizient zu verarbeiten, Big Data in der Astronomie: Bereits Tage nach der ersten großen Freigabe der Gaia-Daten diesen April (der Katalog wird in den kommenden Jahren noch mehrfach verbessert werden, zumal die ESA der Mission gerade eine erste Verlängerung genehmigt hat) hockten Scharen von Astronomen darüber und übten sich an energischem „Data Mining“. Das Ergebnis eines solchen ‚Gaia Sprint‘ genannten Astrophysik-Happenings wurde nun veröffentlicht: die unerwartete Entdeckung der verblüffend großen ZwerggalaxieAntlia 2“ neben der Milchstraße, so ausgedehnt wie deren größter direkter Nachbar, die Große Magellansche Wolke, aber mit dramatisch weniger Sternen. Und sie ist womöglich nur die Spitze eines Eisbergs zahlreicher weiterer extrem diffuser Galaxien, die erst mit Gaias Hilfe überhaupt greifbar werden.

So wurde Antlia 2 aus den Daten des Gaia-Satelliten gefischt: Sterne mit ähnlichen Eigenbewegungen (rechts) wie drei nahe zusammen stehende RR-Lyrae-Veränderliche (hellblaue Punkte) wurden in ein Farben-Helligkeits-Diagramm (Mitte) eingetragen und offenbar zum selben Sternsystem gehörende selektiert (Rahmen). Mit den entsprechenden „Cuts“ wird die Zwerggalaxie im Sternengewirr des Gaia-Himmels (links) auf einmal deutlich erkennbar. [Belokurov et al.]
Die Galaxienjäger hatten sich eines Veränderlichen-Katalogs von RR-Lyrae-Sternen bedient, der ebenfalls von Gaia stammt: Da gab es im Sternbild Luftpumpe eine Anhäufung ähnlicher Sterne, was sie als Mitglieder eines möglichen unbekannten Sternsystems verdächtig machte. Nun kam die schiere Datenfülle und -tiefe Gaias bezüglich mehrerer Parameter gleichzeitig ins Spiel: Selektierte man im Katalog Sterne ähnlicher Entfernung und Eigenbewegung, wurde in deren Farben-Helligkeits-Diagramm (untere Grafik Mitte) ein deutlicher Roter-Riesen-Ast sichtbar. Da war wirklich ein zusammenhängendes Sternsystem mit ähnlich alten Sternen unterschiedlicher Massen in den Daten verborgen! Schnitt man nun genau diese Sterne heraus, dann erschien die bisher unsichtbare Galaxie auch auf Gaias Himmelskarte (links) – und ihre Sterne konnten auch in Archiven irdischer Teleskope identifiziert bzw. gezielt beobachtet werden.

Antlia 2 ist am Himmel 1,3° groß, was bei ihrer Entfernung von rund 420000 Lichtjahren fast 10000 Lichtjahren entspricht – und sie ist noch 100-mal diffuser als selbst die ‚zerstreutesten‘ bisher bekannten Galaxien. Auch enthält sie ungewöhnlich wenig Dunkle Materie: alles vielleicht Spuren einer sehr ungemütlichen Begegnung mit einer anderen Galaxie, aber es bleibt im Detail noch eine Menge zu modellieren.

LINKS:
Originalarbeit: https://arxiv.org/abs/1811.04082
Cambridge Univ. Release: https://www.cam.ac.uk/research/news/gaia-spots-a-ghost-galaxy-next-door
CMU Release: https://www.cmu.edu/mcs/news-events/2018/1113_Gaia-Ant-2.html

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