Orion-Nebel ausgezählt: zehnmal mehr Substellares

Der Orion-Nebel, wie ihn die Infrarotkamera HAWK-I des Very Large Telescope siieht: ein Mosaik, das tiefer reicht als je zuvor. [ESO/H. Drass et al.]

Das bekannteste Sternentstehungsgebiet der Milchstraße hilft bei der Aufklärung einer der grundlegenden Fragen der Astrophysik: In der bisher tiefsten Infrarot-Aufnahme des Orionnebels sind die Sterne und substellaren Objekte – bei denen es nicht zur Zündung von Wasserstoff-Fusion gereicht hat – ausgezählt worden. Und ihre Massenverteilung zeigt überraschend zwei Buckel, bei massearmen Sternen und nochmal im substellaren Bereich: Dort verzehnfacht sich die Zahl der Objekte – eine Überraschung.

Das Zauberwort heißt Initial Mass Function (IMF), auch Ursprüngliche oder Anfängliche Massenfunktion: die Verteilung der Sternmassen in einer neuen Sternpopulation, die gerade aus einem Gasnebel entstanden ist. In dieser Funktion bündeln sich letztlich die gesamten physikalischen Prozesse bei der Sternentstehung, dem Fundament der Entwicklung von Galaxien und letztlich auch der Bildung von Planeten. Zunächst einmal ist die IMF ein empirisches Gesetz, das seit 1955 aus Beobachtungen abgeleitet wird, zuerst aus den Sternen der Sonnenumgebung, später in vielen anderen Regionen der Milchstraße. Bis etwa 0,1 Sonnenmassen hinab scheint die IMF der Milchstraße geradezu ein universelles Gesetz zu sein, darunter deuten sich Unterschiede zwischen verschiedenen Sternentstehungsgebieten an. Während Theoretiker allmählich die Eigenschaften der IMF zu verstehen beginnen, sind direkte Beobachtungen immer noch der Schlüssel: Dies war der Grund, weshalb bereits 2008 das Very Large Telescope der ESO seine Infrarotkamera HAWK-I auf den Orionnebel richtete, ein 1350 Lichtjahre entferntes Sternentstehungsgebiet, das nur etwa 3 Millionen Jahre alt ist. An der Verteilung der jungen Objekte darin lässt sich die IMF also fast direkt ablesen, während sie bei älteren Sternpopulationen erst mühsam zurück gerechnet werden muss.

HAWK-I belichtete länger und reichte tiefer – also zu schwächeren Objekten – in einem 22 x 28 Bogenminuten großen Feld im Zentrum des Nebels als jede andere Beobachtung zuvor. Nun sind die Einzelobjekte in der großen Mosaik ausgezählt: 929 Sterne mit weniger als 1,4 Sonnenmassen, 757 mutmaßliche Braune Zwerge und 158 „IPMOs“ – Independent Planetary Mass Objects, also Objekte von Planetenmasse, die nicht um Stene kreisen – von mehr als 1/200 Sonnenmasse. Die IMF ist verblüffend, mit zwei ausgeprägten Maxima bei 0,25 und 0,025 Sonnenmassen und einem tiefen Minimum dazwischen bei 0,08 Sonnenmassen, genau der Grenze aber der Wasserstoff-Fusion möglich ist. In der Summe haben sich im Orionnebel rund zehnmal so viele substellare Objekte gebildet wie man bei der Zahl der Sterne erwarten sollte. Eine offensichtliche Erklärung für die vielen Zwergobjekte gibt es zunächst nicht – aber eine Vermutung. Simulationsrechnungen haben nämlich gezeigt, dass die Scheiben um junge Sterne leicht fragmentieren können – und dabei werden Braune Zwerge und IPMOs produziert, die dann v.a. aus Mehrfachsystemen leicht herausgeschleudert werden können. Die vielen IPMOs im Orionnebel sind eine gute Nachricht für das Riesenteleskop E-ELT: Es wird wohl reichlich Planeten aller Größen zu Gesicht bekommen.

LINKS:
Originalarbeit: http://xxx.lanl.gov/abs/1605.03600
ESO Press Release: http://www.eso.org/public/news/eso1625
Theorie der IMF: http://www.eurekalert.org/pub_releases/2016-06/lmsu-tmo060616.php

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