Die extrem kleine Gruppe der nicht mehr als 500 bisher bekannten sogenannten Kohlenstoffzwerge gehört sicherlich zu den exotischen Objekten des Universums. Sie streben mit Geschwindigkeiten weit jenseits jeder irdischen Gewehr- oder Kanonenkugel scheinbar ziellos durch den Raum und zeigen ein Erscheinungsbild, welches sie vor dem Hintergrund ihres tatsächlichen Alters gar nicht haben dürfen. Einer dieser außergewöhnlichen Himmelskörper (abgekürzt SDSS J1128) ist mit 1,54 Millionen Kilometern in der Stunde unterwegs. Interessanter Vergleich dazu: Die Bundesrepublik Deutschland hält zusammen mit den USA den Rekord der schnellsten Raumfahrzeuge der Geschichte. Die beiden Helios-Sonden brachten es relativ zur Sonne auf immerhin knapp 253.000 km/h.
Das Sterben der meisten Sterne ist ein Prozess, der sich über einige Millionen Jahre erstrecken kann. Hat ein Stern von der Masse unserer Sonne seinen gesamten Wasserstoffvorrat verbraucht, setzt in der Regel das Heliumbrennen ein und es wird die nächste Stufe schwererer Elemente wie Kohlenstoff erbrütet. Kurz zuvor geht allerdings ein Ruck durch den Stern: Für einen Moment setzt die Kernfusion aus und der Kern sackt in sich zusammen. Zugleich beginnt in den äußeren Hüllen das Wasserstoff-Schalenbrennen und setzt soviel Energie frei, dass sich die Hüllen enorm ausdehnen. Es entsteht ein Rote Riese. Sie sind strahlend helle Giganten – wie Beteigeuze im Orion, 800-mal größer als die Sonne und einige tausend Mal heller. Rote Riesen wirken lange Zeit stabil. Doch die Hüllen verlieren durch die Ausdehnung an Dichte und kühlen ab, während sich der Kern verdichtet und aufheizt. Der Stern wird instabil. Er kann seine Hüllen sogar verlieren – die wir als Planetarische Nebel am Himmel wiederfinden. Hat der Rote Riese mehr als acht Sonnenmassen, setzen am Ende des Heliumbrennens weitere Fusionsprozesse ein, bis er irgendwann als spektakuläre Supernova explodiert. Bei kleinerer Masse schrumpft der Rote Riese hingegen zum Weißen Zwerg.
Weiße Zwerge sind also Sterne, in denen die Kernfusion erloschen ist und die sich unter dem Druck der Schwerkraft auf bis zu 100.000°C aufheizen. Im weiteren Verlauf kühlt ein Weißer Zwerg ab und wird leuchtschwächer, bis er schließlich zu einem Schwarzen Zwerg geworden ist. Diese Objekte sind bislang hypothetisch, d.h. es ist kein Vertreter beobachtet worden.
Im Lichte dessen führt der Begriff des „Zwergsterns“ bei den Kohlenstoffzwergen ein wenig in die Irre. Denn anders, als die Entwicklung zum Weißen Zwerg, stellt der Kohlenstoffzwerg nicht das Ende der Lebensspanne eines beispielsweise Hauptreihensternes dar. Ganz im Gegenteil, steht der Kohlenstoffzwerg in einer früheren Entwicklungsphase. Sie sind deutlich jünger als Weiße Zwerge. Danach sieht er jedoch keinesfalls aus. Auf der Oberfläche von Kohlenstoffzwergen zeigen sich deutliche Anzeichen von großen Mengen an Kohlenstoff. Ein Befund, dem sie ihrem Namen verdanken. Dort dürfte er aber nicht sein, denn die Zwergsterne sind signifikant zu jung, um diesen Kohlenstoff selber gebildet zu haben. Das Vorhandensein von Kohlenstoff in solchen augenscheinlich ausgeprägten Mengen, ist charaktertypisch im Rote-Riesenstern-Stadium zu erwarten. Mit anderen Worten ist die Existenz der Gruppe der 500 Kohlenstoffzwerge nicht nur verwirrend, sie sollten auch gar nicht existieren, denn in dem Lebenszyklus, in dem sie sich aktuell befinden, gibt es keine Möglichkeit, den beobachteten Kohlenstoff zu bilden. Die Existenzberechtigung der Kohlenstoffzwerge schaffen vermutlich ältere Sterne, die zusammen mit den späteren Kohlenstoffzwergen ein jeweiliges Binärsystem bildeten. Die älteren Sterne vergingen in einer Supernova, die den jüngeren Partner mit hoher Geschwindigkeit ins All schleuderte. Auf diese Weise werden sowohl die Kohlenstoffanreicherungen, als auch die Geschwindigkeiten der Himmelskörper wie SDSS J1128 elegant erklärt. Sowohl Flugrichtung, wie auch Entfernung, lassen das zentrale Schwarze Loch der Milchstraße als Beschleunigungsursache ausscheiden.
Lars-C. Depka
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