Astronomen haben zum ersten Mal direkt Gravitationswellen nachgewiesen. Und dass es den Urknall wirklich gab. Dass die Gravitation ein Quantenphänomen ist. Dass sich das extrem junge Universum gewaltig aufblähte. Und dass es auch noch unzählige andere Universen geben dürfte. So war es diese Woche mit unterschiedlichen Graden der Bestimmtheit zu lesen – aber wer stattdessen gestandenen Kosmologen lauscht, sieht ein anderes Bild. Was das kleine Radioteleskop BICEP2 – ein 260mm-Refraktor mit Linsen aus Polyethylen – da am Südpol in den Jahren 2010–2012 in einem 380 Quadratgrad großen Himmelsfeld gemessen hat, ist tatsächlich grundlegend neu, zumindest kein offensichtliches Artefakt und durchaus nobelpreisverdächtig.
Doch unisono wird erst nach unabhängigen Bestätigungen dieses äußerst schwachen Polarisationsmusters in der kosmischen Hintergrundstrahlung gerufen, bevor ein klarer Nachweis von Gravitationswellen des Urknalls – und ihrer fundamentalen physikalischen Konsequenzen gefeiert werden kann. Wobei die »Standard«-Kosmologie mit ihrem Urknall ebenso wie die Allgemeine Relativiätstheorie samt ihren Gravitionswellen längst auf jeweils mehrfachen anderen Wegen experimentell bestätigt sind.
Deswegen bestand auch die allgemeine Erwartung, dass die um 1980 postulierte inflationäre Frühphase der kosmischen Expansion – die viele Eigenschaften des heutigen Kosmos auf einen Schlag erklären würde – auch Gravitationswellen hervorrufen musste: Während dieser rasanten Aufblähung werden virtuelle Gravitonen zu realen Trägern der Schwerkraft, und der wachsende Plasmaball füllt sich mit Schwerkraftwellen unterschiedlichster Wellenlänge. Dann der entscheidende Moment, als das Weltall nach 380000 Jahren durchsichtig wurde: Was heute die Hintergrundstrahlung ist, wurde frei. Bei der allerletzten Streuung mit einem Proton oder Elektron erhielt jedes Photon dabei Information aufgeprägt, die 13,7 Milliarden Jahre später noch »ausgelesen« werden kann, darunter auch Polarisation. Nur Gravitationswellen konnten dabei (wegen ihrer kuriosen Quadrupol-Natur) ein charakteristisches Muster mit einer Rotation im mathematischen Sinne hinterlassen, im Englischen treffender als Curl, also Kräuseln, bezeichnet oder auch als B-Moden. Die Dichteschwankungen des Urknall-Plasmas, die Saat der heutigen kosmischen Strukturen, produzierten dagegen nur eine – dafür viel stärkere – Polarisation ohne Curl.
Was nun mit dem BICEP2 gelungen zu sein scheint, ist die Isolation eben jener »primordialen B-Moden«: Die Forscher haben sich große Mühe gegeben, alle erdenklichen instrumentellen Fehler ebenso auszuschließen wie andere B-Moden durch Gravitationslinseneffekte erst im jüngeren Kosmos. Das Signal ist überraschend stark und steht damit sogar in moderatem Widerspruch zu früheren Obergrenzen, die allein aus dem Temperaturmuster der Hintergrundstrahlung abgeleitet wurden. Schon werden diverse Modifikationen der BICEP2-Analyse vorgeschlagen, um den Konflikt zu reduzieren, und auch die Größenverteilung der Curl-Muster erweckt bei manchen den Verdacht, dass etwas nicht ganz stimmen könnte.
Zum Glück ist aber BICEP2 zwar das erste Teleskop, das die nötige Messqualität erreicht hat, um überhaupt nach den B-Moden zu greifen – aber ein halbes Dutzend weitere Experimente sind ihm schon auf den Fersen, inklusive des ESA-Satelliten Planck: Wohl noch dieses Jahr sollte der Nachweis der primordialen Wellen bestätigt oder widerlegt sein. Im ersteren Fall wäre die Bedeutung größer als beim Nachweis des Higgs-Bosons: Der bestätigte 2012 letztlich nur das physikalische Standardmodell, Gravitationswellen vom Urknall aber würden zwangsläufig mit aufregender »neuer Physik« einhergehen.
Daniel Fischer
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