Erstaunliche Galaxien-Statistik: Drehachse des ganzen Kosmos?

So etwas gibt es in der Kosmologie nur sehr selten: Die Entdeckung ist kinderleicht nachzuvollziehen, hätte im Prinzip von jedem mit genug Zeit bzw. Helfern gemacht werden können, scheint ziemlich signifikant zu sein – und ist völlig unerklärlich. Der Astronom Michael Longo von der University of Michigan und fünf Studenten hatten sich 230000 Galaxien mit Rotverschiebungen von weniger als 0,085 – was rund einer Milliarde Lichtjahren entspricht – aus der Sloan Digital Sky Survey angeschaut. Bei den Spiralgalaxien, die ein paar Prozent ausmachen, wurde dann gefragt: Drehen sie sich links- oder rechtsherum oder lässt es sich nicht sagen (was bei 85% der Fall ist)? Als besondere Vorsichtsmaßnahme wurden die Galaxienbilder den Testpersonen nach einem Zufallsschema mal wie am Himmel zu sehen und mal gespiegelt gezeigt: So konnte eine unwillkürliche Bevorzugung einer Drehrichtung, wie sie sie frühere Untersuchungen dieser Art verfälscht zu haben scheinen, komplett verhindert werden. Am Ende blieben 15158 Spiralen mit ziemlich eindeutiger Rotationsrichtung übrig – und das verblüffende Resultat: Am Nordhimmel, den die SDSS überwiegend abdeckt, gibt es 7% zu viele linksdrehende Spiralen.

Der statistische Effekt ist stark, und bislang hat noch niemand eine plausible Fehlerquelle entdecken können, auch von interstellarum kontaktierte Astronomen nicht. Leider lässt sich die Richtungsbestimmung der Spiralen nicht automatisieren: Sie sind oft nur schwach ausgeprägt, und alle Softwarelösungen kranken an viel zu großen Fehlerraten, so Longo zu interstellarum. Um den völlig unterwarteten »kosmischen Dipol« zu überprüfen, müsste das mühsame Procedere wohl noch einmal mit anderen Betrachtern wiederholt werden. Und ein ähnlich aufwändiger Test auf der Südhalbkugel wäre wichtig, wo in deutlich kleineren Galaxiendurchmusterungen bereits der entgegengesetzte Überschuss gesehen wurde. Die Mühe würde es lohnen, denn wenn der Kosmos – oder zumindest eine ein Milliarden Lichtjahre große Blase darin – wirklich eine bevorzugte Drehrichtung aufwiese, dann würde das gleich mehreren Grundannahmen der Kosmologie widersprechen: Eine Achse und globale Restrotation darf das Universum eigentlich nicht haben. Eine alternative Interpretation der Longo’schen Daten wäre eine Korrelation der Dynamik von Galaxien auf Skalen von hunderten Millionen Lichtjahren, die freilich auch keine Theorie ihrer Entstehung voraussagt. Leider lässt sich die Analyse kaum in größere kosmischen Tiefen fortsetzen, weil es dort kaum mehr Spiralgalaxien gibt.

Daniel Fischer

Originalarbeit:
arxiv.org/abs/1104.2815
Pressemitteilung der Univ. of Michigan:
ns.umich.edu/htdocs/releases/story.php?id=8467
Diskussion:
physicsworld.com/cws/article/news/46688
Daniel Fischer

Share
Published by
Daniel Fischer

Recent Posts

Astronomie im Winter: 3 schnelle Tipps, für die Beobachtung

Im Sommer wundervoll warm aber Astronomie im Winter eine Zumutung? Von wegen. Was Sie machen…

4 Jahren ago

Spix‘ Blick zum Mond: Hesiodus – Lichtspiele und Doppelwall

Die letzte Ausgabe des »Blicks zum Mond« ist noch einmal etwas für Frühaufsteher. Am 1.…

5 Jahren ago

Was ist eigentlich … 66?

Keine Sorge! Ich werde jetzt definitv nicht in irgendwelchen numerologischen Geheimnissen herumkramen und mich über…

5 Jahren ago

InSights Solarzellen offen – mehr Bilder

Nach der perfekten Landung von InSight auf dem Mars und dem Empfang des ersten Bildes…

5 Jahren ago

Eine Landung wie nach Drehbuch: InSight steht in der Elysium Planitia

Die Landung vom InSight auf dem Mars ist noch perfekter abgelaufen als erhofft. Nicht nur…

5 Jahren ago