Seit einem guten Jahrzehnt sind sie nun bekannt, die seinerzeit sicher nicht zu Unrecht als Sensation apostrophierten Fontänen aus Wassereispartikeln des kleinen rund 500km großen Saturnmondes Enceladus. In der geologisch aktiven Region der südlichen Hemisphäre ist die Oberfläche von parallelen, Hunderte Kilometer langen Streifen durchzogen, die aus bis zu 300m tiefen Spalten bestehen, in denen kristallines Eis bis zur Oberfläche vordringt. Eventuell bewegt sich unter der Oberfläche das Eis in Konvektionsströmen und löst eine kryo-vulkanische Spaltenaktivität aus. Der Vorgang erinnert in seinen Effekten an die Plattentektonik der Erde oder an vergleichbare Aktivitäten auf dem Jupitermond Europa. Allerdings sind die Fontänen nicht zu jeder Zeit gleich gut zu beobachten, oder gleich stark ausgeprägt, denn das Ausstoßvolumen der Tigerstreifen schwankt zyklisch. Am schwächsten erscheinen die Geysire, wenn sich Enceladus am saturnnächsten Punkt seiner Umlaufbahn befindet, um dann kontinuierlich in ihrer Aktivität zuzunehmen, je weiter sich der Mond von seinem Planeten entfernt. Die Ausstoßrate ist am saturnfernsten Punkt schließlich drei bis vier Mal so hoch, wie am saturnnächsten. Ein Erklärungsmodell ist, dass bei größerer Nähe zum Saturn und der daraus resultierenden stärkeren gravitativen Belastung die Tigerstreifen regelrecht zusammendrückt werden, wodurch sich die Ausstoßöffnungen verkleinern und weniger Material entweichen lassen. Nun aber erfährt die Annahme, der beobachtete Wasserdampf tritt aus Geysir-ähnlichen Strukturen innerhalb der Tigerstreifen aus, einen im wahrsten Wortsinne neuen Blickwinkel.
Um die Phänomene rund um die Tigerstreifen einordnen und die Entstehungsursache verstehen zu können, sind möglichst genaue Vorstellungen der geometrischen Voraussetzungen am Eruptionsort von wesentlicher Bedeutung. Vor dem Hintergrund von Modellierungen zum Austrittsverhalten der Partikelwolken handelt es sich bei den Eruptionen nicht um einzelne Fontänen, sondern eher um einen regelrechten Vorhang aus eruptiven Ereignissen. Die lange Zeit als Einzelfontänen eingestuften Merkmale sind infolge dessen als optische Täuschung zu bewerten. Diese Bewertung stützt nachhaltig vor allem die Analyse des schwachen, von älteren Cassini-Aufnahmen bekannte, Hintergrundleuchten: Die hellsten Eruptionen, die wie Einzelfontänen aussehen, können tatsächlich als kurzzeitig vor diesem Hintergrund überblendete Strukturen gedeutet werden. Bei den modellierten Eruptionen, die kontinuierlich aus den Tigerstreifen strömen und so eine Art Vorhang bilden, erscheint tatsächlich immer der Bereich des Vorhanges besonders hell, der wie eine einzelne Fontäne aussieht und tritt darüber hinaus immer an der Stelle auf, an der ein Betrachter auf eine »Falte« innerhalb des Vorhanges blicken würde. Bestätigt sich die Annahme, handelt es sich bei dem größten Teil der sichtbaren Aktivität auf Enceladus um eruptive Vorhänge und nicht um einzelne Geysire.
Lars-C. Depka
www.nasa.gov/jpl/cassini/ |
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