Älteste Sternkarte der Welt präziser als gedacht

Die polare Sternkarte des Himmelsatlas aus einer Höhle bei Dunhuang in Nordwest-China, der nach neuen Forschungen aus dem 7. Jahrhundert stammt. Unter den Sterngruppen fällt der Große Wagen auf; ein eindeutiger Polarstern ist hingegen nicht auszumachen. [J.-M. Bonnet-Bidaud (CEA, Saclay), F. Praderie (Obs. Paris) S. Whitfield (British Library)]
Die polare Sternkarte des Himmelsatlas aus einer Höhle bei Dunhuang in Nordwest-China, der nach neuen Forschungen aus dem 7. Jahrhundert stammt. Unter den Sterngruppen fällt der Große Wagen auf; ein eindeutiger Polarstern ist hingegen nicht auszumachen. [J.-M. Bonnet-Bidaud (CEA, Saclay), F. Praderie (Obs. Paris) S. Whitfield (British Library)]
Sie ist eine von 40000 Handschriften, die vor 102 Jahren in einer um das Jahr 1000 sorgsam versiegelten Grotte bei Dunhuang in Nordwestchina gefunden wurden, und ihre Bedeutung für die Astronomiegeschichte ist schon ein halbes Jahrhundert klar — doch eine wirklich systematische Auswertung des 3,94m langen und 24cm breiten Himmelsatlasses ist erst jetzt vorgelegt worden.

Zum einen hat sich nun herausgestellt, dass die (mit astrologischen »Informationen« ergänzten) Karten schon Jahrhunderte alt waren, als sie in der Höhle versteckt wurden und vermutlich aus den Jahren 649 bis 684, d.h. der frühen Tang-Dynastie, stammten. Und es hat sich gezeigt, dass dem Atlas systematische astronomische Messungen zugrunde liegen müssen, denn die Positionen zumindest der hellen Sterne sind innerhalb eines (nicht dargestellten) mathematisch eindeutigen Gradnetzes auf 1,5° bis 4° genau. Wahrscheinlich wurden die Himmelskarten von einer anderen Vorlage durchgepaust oder kopiert, doch der Zweck des Dokuments ist unklar: Die nicht dem damaligen Standard für wertvolles Schrifttum entsprechende Qualität der chinesischen Schriftzeichen spricht für eine von mehreren Kopien, das — zusammengerollt — handliche Format für einen Atlas zum Mitnehmen. Der Fundort direkt an der Seidenstraße mag darauf hindeuten, dass sie Reisende oder Krieger mit sich führten, die zum einen Orientierung am Nachthimmel brauchten und zum anderen Weissagungen anhand von Wolkenformen suchten (die ein zweiter Teil des langen Manuskripts bietet); die hohe Papierqualität spricht wiederum dagegen.

Unabhängig vom tatsächlichen Zweck der Sternkarte von Dunhuang haben wir es aber zweifellos mit dem ältesten erhaltenen grafischen Atlas des vollständigen sichtbaren Himmels aus irgendeiner Kultur zu tun! Erst Jahrhunderte später finden wir Vergleichbares wieder in China sowie in Arabien und erst im 15. Jahrhundert in Europa. Der Atlas gibt die chinesische astronomische Tradition des 7. Jahrhunderts perfekt wieder und stellt dabei eine Synthese aus mehreren Richtungen dar: Die 257 Gruppen oder Asterismen, in die die 1339 Sterne eingeteilt sind, stammen nämlich aus drei verschiedenen astronomischen »Schulen«, die durch unterschiedliche Farben kenntlich gemacht werden, damals aber schon halbwegs vereinigt waren. Zwölf Karten haben jeweils den Himmelsäquator in der Mitte und zeigen den Himmel von -40° bis +40° Deklination in Quasi-Zylinder-Projektion, während eine dreizehnte (Abb.) auf den Himmelsnordpol zentriert ist und eine azimutale Projektion verwendet. Die Orientierung der Karten am Äquator und die Zwölfteilung haben nichts mit dem uns vertrauten Tierkreis und dem Sonnenlauf darin zu tun: Vielmehr ist es der Jupiter, der von Jahr zu Jahr praktisch genau eine »Station« weiter zieht, hier als »Jahresstern« den Takt angibt und auf dessen Stellung in den astrologischen Texten am Rande auch Bezug genommen wird. Auf die Darstellung von Äquator, Ekliptik und Milchstraße, die in kreisförmigen chinesischen Himmelskarten einige Jahrhunderte später auftauchen, wurde noch verzichtet, dafür findet sich das System der 28 »Mondhäuser« in der Äquatorzone wieder. Noch bis zum 18. August ist die Dunhuang-Karte in der British Library in London zu sehen: eine seltene Gelegenheit!

Daniel Fischer

Die neue Veröffentlichung: arxiv.org/abs/0906.3034
Astronomie-Bild des Tages (19.6.): apod.nasa.gov/apod/ap090619.html
International Dunhuang Project: idp.bl.uk/idp.a4d

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*