Man sieht es ihm nicht an, aber der Kugelsternhaufen Messier 12 alias NGC 6218 im Ophiuchus ist nur noch ein Schatten seines früheren Selbst: Bei einer oder mehreren Passagen durch die Milchstraße hat er offensichtlich vier Fünftel seiner Masse eingebüsst, rund eine Million Sterne. Und dabei sollte M 12 kraft seines bisher für wahrscheinlich gehaltenen Orbits gar nicht in Gefahr eines solchen »Strippings« durch Gezeitenkräfte laufen: De Marchis et al. hatten sich speziell diesen Kugelhaufen für eine detaillierte Analyse ausgesucht, weil sie ihn als Musterbeispiel für einen möglichst unveränderten Vertreter dieser Überreste aus der Frühzeit der Galaxis benutzen wollten. Irgendetwas sei bei ihm aber »schrecklich falsch« schreiben sie jetzt (eine seltene Formulierung in einer wissenschaftlichen Arbeit): Wahrscheinlich befindet sich M 12 auf einer weit selbstzerstörerischen Bahn als bisher angenommen – oder seine Sterne entstanden mit einer völlig abnormen Massenverteilung.
Auf Bildern des Very Large Telescope der ESO durch V- und R-Filter waren über 16 000 Sterne des Haufens identifiziert und die Leuchtkraftfunktion der Hauptreihensterne ermittelt worden: Erwartet hätte man mit abnehmender Helligkeit, also geringerer Masse, eine immer grössere Zahl von Sternen, wie es bei anderen Kugelhaufen und auch sonst in der Milchstraße der Fall ist. Doch bei M 12 ist es ganz anders: Es gibt von allen Massen ziemlich genau gleich viele Sterne! Nur zwei Kugelsternhaufen mit einer ähnlichen Abweichung sind bekannt, und bei beiden – NGC 6712 und Pal 5 – steht ausser Frage, dass sie das Gezeitenfeld der Milchstraße stark in Mitleidenschaft nahm: Die masseärmeren Sterne werden dabei natürlich am einfachsten entrissen. Bei Pal 5 bilden sie sogar einen sichtbaren »Schweif«. Sofern die ursprüngliche Sternbildung in M 12 nicht eine völlig von der Norm abwich, wofür es aber keinerlei erkennbaren Grund gäbe, kann seine »flache« Massenfunktion nur bedeuten, dass auch dieser Haufen kräftig »gestrippt« wurde. Und tatsächlich gibt es bereits eine alternative Orbitberechnung für ihn, die ihn tief in die Galaxis führt und seine theoretische Lebensdauer fast halbiert – und nach der es um Messier 12 schon in 5 Mrd. Jahren ganz geschehen sein könnte.
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