Abgesehen von einer antarktischen (2003) und einer pazifischen ohne jede Landberührung (2005) war keine totale Sonnenfinsternis dieses Jahrzehnts so schwer zu erreichen gewesen wie die vom 11. Juli 2010 – und die wenigen Optionen hatten den beiden anderen geähnelt: Gewählt werden musste zwischen isolierten südpolynesischen Inseln, Schiffen oder der eisigen Südspitze Südamerikas.
Auf praktisch jedem Stück festen Landes, das der Kernschatten des Mondes treffen sollte, auf zwei Kreuzfahrtschiffen, in einem Flugzeug, das dem Schatten über den Pazifik folgte (und so 9min 23s Totalität »erzeugte«), und im Süden von Chile und Argentinien waren Beobachter zusammen gekommen, und die meisten konnten am Ende von Erfolgen berichten. In den Tropen Polynesiens ist die Wetterlage im Juli durchweg instabil, Wolken türmen sich gerade über den Inseln auf, und oft machten wenige Kilometer den Unterschied, ob die Totalität – dann über spektakulärer Strand- und Palmenkulisse – gesehen werden konnte. Auch mit den beiden Schiffen gelang es nur mit Mühe, unter ein Stück klaren Himmels zu navigieren. Weiter östlich auf der Osterinsel war es am Finsternistag zwar durchweg klar, aber den gesamten Vortag hatte es so anhaltend geregnet, dass viele schon jeder Mut verlassen hatte.
Am großen Tag gelang es aber so manchem Fotografen, die finstere Sonne über Moai-Figuren zu platzieren – während auf einem wunderlichen Musikfestival mindestens einer dem Vernehmen nach die Finsternis einfach verschlief. Dann erreichte der Kernschatten das südamerikanische Festland: Auf der kaum zugänglichen chilenischen Seite der südlichen Anden erlaubte die Witterung nur wenige Beobachtungen, doch auf der argentinischen herrschten Traumbedingungen, wie sie nach Aussagen Einheimischer nur wenige Male im Jahr vorkommen. Problematisch war da eher das Anden-Panorama am Horizont, denn die Sonne stand zur Totalität nur noch 1,5° hoch: Wer sicher gehen wollte, suchte erhöhte Plätze auf. Dort entfaltete sich dann ein Spektakel, das allenfalls mit dem antarktischen zu vergleichen war, bei dem die Sonne ebenfalls nur knapp über dem Horizont gestanden hatte: Weit plastischer als bei hochstehenden Finsternissen stach der Schattenkegel des Mondes als dreidimensionaler Finger durch die Atmosphäre. Die Gestalt der Korona – die weitgehend der Prognose entsprach – und die Chromosphäre waren trotz gewisser Rötung kaum schlechter zu erkennen als in viel größerer Höhe: Das war wohl die größte Überraschung dieser ausnehmend aufregenden Finsternis.
Daniel Fischer
Kommentar hinterlassen