Der „Aufbruch zum Mond“ durch die Augen von Neil Armstrong gesehen

Endlich am Ziel - und mit der gelungenen Landung auf dem Mond macht auch die Bildauflösung von "Aufbruch zum Mond" einen gewaltigen Sprung und wechselt von körnig auf volle IMAX-Qualität,. [UPI Media]

Diese Woche läuft er endlich auch in Deutschland an, der dritte große US-Spielfilm über das frühe Raumfahrtprogramm, der zugleich perfekt die Lücke zwischen dem „Stoff aus dem die Helden sind“ von 1983 über die Anfänge und „Apollo 13“ von 1995 über die dramatischste Mondfahrt schließt: Der „Aufbruch zum Mond“ verfolgt den „First Man“ (Originaltitel) auf dem Mond von 1961 bis 1969.

Der mit 2 Stunden und 20 Minuten lange aber nie langweilige Film des Regisseurs Damien Chazelle kombiniert dabei Neil Armstrongs persönliche Story samt problematischem Familienleben mit selektiven Meilensteinen der amerikanischen Raumfahrtgeschichte, ohne dass der eine Aspekt den anderen dominieren würde. Das sollte den „Aufbruch zum Mond“ eigentlich für ein breites Publikum interessant gemacht haben: Das blamable Einspielergebnis von nur 87 Mio. Dollar weltweit (davon die Hälfte in den USA) im ganzen ersten Monat, das gerade mal die Produktionskosten deckt, ist gänzlich unverdient. Denn der Film gewinnt der scheinbar doch irgendwie in jedem Detail präsenten Geschichte viele neue Aspekte ab, inhaltlich, visuell, emotional, so dass er Apollo 11 kurz vor dem 50-Jährigen ein gelungenes Denkmal setzt. Auf das sich der Zuschauer aber einlassen muss, denn die ‚üblichen‘ Bilder wuchtig startender Raketen und strahlender Helden sucht man beim „Aufbruch zum Mond“ fast vergeblich.

Nach der berühmten Bruchlandung mit dem „fliegenden Bettgestell“ alias Lunar Landing Research Vehicle im Mai 1968: Auch diese Nahtod-Erfahrung kann der Zuschauer von „Aufbruch zum Mond“ quasi aus der Helm-Perspektive Armstrongs miterleben. [UPI Media]
Stattdessen bekommt der Zuschauer quasi die Innenperspektive Armstrongs geboten, jedenfalls visuell: Die Kamera sieht oft, was er sieht, fast so als hätte es in den 1960-er Jahren schon ‚Actioncams‘ gegeben. Hat es aber nicht, und deswegen wirkt die Perspektive verblüffend frisch. Die extrem nahen Blicke auf vibrierende Kontrollpanele – im Gegenschnitt mit Armstrongs, also Ryan Goslings, Gesicht in Super-Großaufnahme – mögen allerdings für das Medium Kino mitunter etwas krass ausfallen, weshalb ein Platz weiter hintem im Saal zu empfehlen wäre. Zumal gerade die frühen Szenen ungewohnt grobkörnig daher kommen, sind sie doch auf der Jagd nach Authentizität zum Teil auf 16-mm-Film gedreht. Wenn am Schluss allerdings tatsächlich auf dem Mond gelandet wird, ändert sich alles mit einem Schlag: Für diese Szenen kamen IMAX-Kameras zum Einsatz, und der Sprung der Bildschärfe ist bereits im ’normalen‘ Kino eklatant. Die Weite wie die Ödnis der Mondlandschaft: So präsent war sie uns noch nie, und dafür lohnt sich das weit vorne sitzen dann doch.

Hier zitiert der „Aufbruch zum Mond“ mal einen bekannten Blickwinkel auf die Apollo-11-Mission: Abmarsch der Crew zum Bus, der sie zur Startrampe mit der Saturn V bringen wird. [UPI Media]
Armstrongs persönlicher Entwicklung zum Vollblut-Raumfahrer mit unbeholfenem Familienleben – von seiner Frau Janet regelrecht dazu gezwungen, spricht er mit seinem jungen Söhnen kurz vor dem Mondflug genau wie auf der Pressekonferenz zuvor; eine grandiose Szene – aber als bescheidener Sympathieträger setzt der „Aufbruch zum Mond“ einzelne Facetten der technischen Entwicklung gegenüber. Der Film beginnt abrupt mit einem dramatischen Flug mit dem Überschallflugzeug X-15, der im April 1962 beinahe schief geht, zeigt die nicht minder dramatische Mission von Gemini 8 und kulminiert schließlich mit Apollo 11. Die vielen Schritte dazwischen finden – bis auf den sehr zurückhaltend dargestellten Feuertod der Apollo-1-Crew – praktisch nicht statt, und auch die meisten Mit-Astronauten und tausenden von Mitarbeitern am Boden bleiben bis auf wenige Ausnahmen Staffage. Aber alles was an Raumfahrt- und selbst Rand-Details zu sehen ist, wurde größtenteils akribisch rekonstruiert, und so darf sich der „First Man“ – im Wesentlichen die Verfilmung der einzigen autorisierten Armstrong-Biografie gleichen Namens, deren Autor auch die Dreharbeiten beriet – ins Pantheon der großen Raumfahrtfilme einreihen.

LINKS:

Interview mit dem Autor: https://physicstoday.scitation.org/do/10.1063/PT.6.4.20181023a/full/
Artikel zur Faktentreue: https://www.airspacemag.com/daily-planet/makers-emfirst-manem-were-determined-get-neil-and-janet-armstrongs-stories-right-180970511
Interview mit Armstrongs Söhnen: https://www.universetoday.com/140197/what-neil-armstrongs-sons-really-think-about-the-movie-first-man
Artikel einer Raumfahrt-Archäologin: https://theconversation.com/first-man-a-new-vision-of-the-apollo-11-mission-to-set-foot-on-the-moon-104050
Interview mit einem Apollo-Astronauten: http://blogs.discovermagazine.com/outthere/2018/10/13/al-worden-on-first-man

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