»Vermisster« Spiralarm der Milchstraße gefunden

Kaum etwas ist in der Astronomie so schwer zu ergründen wie die großräumige Struktur unserer eigenen Milchstraße: Noch nicht einmal über die Zahl ihrer Spiralarme besteht Einigkeit. Seit sich herausgestellt hat, dass die Milchstraße einen nicht unerheblichen zentralen Balken besitzt, ist ein zweiarmiges Modell zumindest plausibler geworden: Bei vielen Balkengalaxien sieht man zwei Arme, die von beiden Enden des Balkens ausgehen. Nicht nur die Position der Sonne mitten in der Scheibe erschwert die Untersuchung des Spiralmusters sondern auch die schiere Unmöglichkeit, direkte Entfernungen zu denjenigen Bestandteilen der Arme zu bestimmen, die sich quer durch die Galaxis verfolgen lassen. Was sich dagegen einfach messen lässt, sind – über den Dopplereffekt – Relativgeschwindigkeiten zu Gaswolken in den Armen, deren Radiostrahlung die gesamte Milchstraße durchdringt: Mithilfe eines Modells der galaktischen Rotation lassen sich die einzelnen Wolken dann im dreidimensionalen Raum platzieren. Mit genau dieser Methode ist nun der bisher sonnenfernste Spiralarm der Milchstraße aufgespürt worden, weit jenseits des galaktischen Zentrums: Im Prinzip wäre er schon in historischen Daten von 1974 und 1998 zu erkennen gewesen, ist damals aber stets übersehen worden.

Dazu trug sicher bei, dass dieser Arm gegenüber der Hauptebene der Milchstraße etwas verkippt ist, da er ihrer generellen Verbiegung folgt. Man muss die Daten – einer neueren Himmelsdurchmusterung in der 21cm-Emissionslinie des interstellaren Wasserstoffs von 2005 – aber nur in der richtigen Weise auftragen, dann tritt der neue Arm deutlich hervor. Und es zeigt sich, dass er eine perfekte Fortsetzung des schon lange bekannten Scutum-Centaurus-Arms bildet, wenn man dessen logarithmische Spiralgestalt einfach fortsetzt; zu irgendeiner anderen bekannten Armstruktur passt er nicht. Noch gibt es wenige Untersuchungen an dem neuen Arm, und viel Teleskopzeit wird erforderlich sein, um ihn genau zu beschreiben. Aber an 10 von 220 Punkten entlang des Bogens war – mit einem winzigen Radioteleskop in Cambridge, Mass., mit nur 1,2m Durchmesser – bereits Kohlenmonoxid in Gestalt ausgewachsener Molekülwolken nachweisbar, deren Anwesenheit einen echten Spiralarm auszeichnet. Das neue Bild der Milchstraße erscheint damit verblüffend einfach und symmetrisch: Der verlängerte Arm wäre das genaue Gegenstück zum bekannten Perseus-Arm, neben dem die Sonne sitzt. Und die Autoren geben der Hoffnung Ausdruck, dass es nach weiteren zehn Jahren Forschung eine allgemein akzeptierte Vorstellung von der Gestalt der Milchstraße geben könnte.

Daniel Fischer

Originalarbeit:
arxiv.org/abs/1105.2523
Hintergrund:
www.sciencenews.org/view/generic/id/74513/title/Milky_Way_may_get_an_extension
Das zweiarmige Bild:
www.oculum.de/newsletter/astro/000/60/2/62.23h77.htm#4
Daniel Fischer

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