Merkur eisreicher als erwartet

Messenger umkreist Merkur in einer hoch exzentrischen Umlaufbahn, die die Sonde näher an die Nordpolarregion des Planeten heranbringt, als an den Südpol. Der etwa 100km große Krater Stieglitz nahe der Bildmitte befindet sich auf 72,5° nördlicher Breite. Die radarhellen Gebiete dehnen sich in einigen Kratern überraschenderweise bis auf 67° nördliche Breite aus. Kleine Krater und niedere Breiten stellen nach gängigen Vorstellungen ein thermal anspruchsvolles Umfeld für Wassereisablagerungen dar. [NASA/Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory/Carnegie Institution of Washington]
Merkur ist und bleibt eine Welt der Extreme. In der Äquatorregion erreichen die Tagestemperaturen mit 400°C leicht eine Marke, bei der Blei schmilzt. Bricht aber die Nacht herein, fällt das Thermometer innerhalb von Stunden auf Werte um – 150°C. Trotz Temperatursprüngen von über 500°C allerdings gibt es auf dem sonnennächsten Planeten allem Anschein nach weit mehr signifikant ausgedehnte Gebiete als zuletzt angenommen, in denen wesentlich stabilere Umweltbedingungen herrschen. Diverse polare Kraterböden des im Vergleich zu den Gasriesen des Sonnensystems winzigen Merkurs liegen geographisch günstig und sind von ausreichend hohen Kraterwällen umgeben, so dass sie nie ein Lichtstrahl der nur etwa 0,4AE (58,5 Mio. km) entfernten Sonne erreicht. Die Temperaturen in solchen Polarkratern sind kaum Schwankungen unterworfen und verbleiben über den Merkurtag und das Merkurjahr gesehen in einem stabilen Zustand. Vermutungen über das Vorhandensein von eisbedeckten Kraterböden auf Merkur reichen zurück bis in die 1990er Jahre. Damals zeigten sich auffällige radarhelle Merkmale an den Planetenpolen. Die von diesen Stellen besser reflektierten Radarechos wurden schon frühzeitig als mögliche Eisablagerungen interpretiert. Darüber hinaus korrespondieren sie in ihrer lokalen Lage gut mit Einschlagskratern, deren Positionen dank der Erkenntnisse der Mariner-10-Sonde aus den 1970er Jahren ausreichend gut dokumentiert sind.

Diese auffällige Korrelation bestätigen jetzt ebenfalls Bilder der Messenger-Mission, die seit nunmehr etwas über einem Jahr unter anderem auch Merkurs Oberfläche kartographiert. Auch die im Vergleich zu den grob aufgelösten erdgebundenen Radarbeobachtungen sehr viel detaillierteren Messenger-Karten sehen die vermeintlichen Eis-Ablagerungen an den plausibelsten Plätzen, die der Merkur zu bieten hat: den beständig kalten Kratern der Polarregionen. Das vermutete Wassereis konzentriert sich im Wesentlichen in den großen nördlichen Einschlagbecken, die sich in einem Bereich etwa 10° vom Nordpol entfernt verteilen. In dieser Region weist fast jeder Krater mit einem Durchmesser von wenigstens 10km solche radarhellen Strukturen, die auf besseres Reflektionsvermögen hindeuten, auf. Allgemein unerwartet allerdings scheinen die vermeintlich eisigen Krater ein weitaus größeres Gebiet auf Merkur einzunehmen, als nach gängigen Vorstellungen zu erwarten ist. Selbst in einem thermisch anspruchsvollen Umfeld von nur noch 67° nördlicher Breite sind sie auf Messenger-Bildern nachzuweisen. In diesen niederen Breiten scheinen insbesondere auch kleinere Krater Eisablagerungen zu beinhalten, obwohl die Wärmestrahlung von der Sonnenseite des jeweiligen Kraterrandes ausreichen sollte, um eisunfreundliche Bedingungen hervorzubringen. Vermutlich existiert hier eine dünne, isolierende Schicht aus feinkörnigem Oberflächenmaterial oder Regolith, welche das Eis vor Sublimierung schützt.

Lars-C. Depka

Originalarbeit:
www.sciencemag.org/content/336/6078/150.1.summary
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