Himmelsscheibe wieder in Deutschland zu sehen – und eine (zu?) komplexe Erweiterung der »offiziellen« Deutung

Ausstellung Himmelsscheibe

Nach Ausstellungen in Halle, Kopenhagen und Wien ist die Himmelsscheibe von Nebra seit dem 10. März (und noch bis zum 16. Juli) im Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim zu sehen, immer noch begleitet von über 400 anderen Exponaten, die das bronzezeitliche Umfeld der Scheibenbenutzer erhellen sollen. Ausserdem wurde eine weitere Abteilung über archäometrische Techniken, die u.a. beim Echtheitsbeweis der Scheibe eine Schlüsselrolle spielten, hinzugenommen, anlässlich der Eröffnung eines entsprechenden Fachlabors im Umfeld des Museums (dessen Leitung dem führenden Scheiben-Archäometer Ernst Pernicka übertragen wurde). Die Ausstellung ist gegenüber der Version in Halle umorganisiert: Statt ganz am Anfang begegnet man der Scheibe selbst erst am Schluss des Rundgangs, wo sie zusammen mit den anderen Objekten des Horts in einer einsamen Vitrine haust (Bild). Von Oktober 2006 bis Januar 2007 kommt die Ausstellung (zu der parallel ein Programm im Mannheimer Planetarium läuft; es gibt Kombinations-Karten!) noch nach Basel, dann wird sie aufgelöst, und die Scheibe kehrt »heim« nach Halle, wo sie 2008 Topexponat einer Dauerausstellung zur Bronzezeit wird.

Wenige Wochen vor der Eröffnung in Mannheim tönte es plötzlich aus dem Umfeld der Hallenser Scheibenhüter, man habe den Bildmotiven auf dem 3600 Jahre alten Gegenstand eine neue und erstaunlich komplexe Deutung abgewinnen können, von »neuen, bedeutenden und weitreichenden Erkenntnissen« ist in forschen Presseerklärungen die Rede: Eine babylonische Schaltregel, um das Sonnen- und das 11 Tage kürzere Mondjahr regelmässig wieder in Einklang zu bringen, sei auf der Scheibe wie in einem Memogramm festgehalten. Bereits kurz nach der Sicherstellung der Scheibe 2002 war – massgeblich entwickelt vom Bochumer Astronomen Wolfhard Schlosser – eine Art »Standardmodell« der Scheibenbedeutung entstanden, das in der Folge noch etwas verfeinert und auch auf der ersten großen wissenschaftlichen Tagung zur Scheibe vor einem Jahr erfolgreich verteidigt wurde. Insbesondere wurde damals sehr davor gewarnt, in die wenigen Symbole der Urfassung der Scheibe (Sonne oder Mond, Mondsichel, 32 Sterne) zu viel hinein zu interpretieren, wie es gerade unter Amateurscheibenforschern die Regel ist.

Himmelsscheibe

Einem Mitarbeiter des Hamburger Planetariums – und ausgewiesenen Archäologie-Fan – ist seither jedoch die Dicke der Mondsichel neben den mutmasslichen Plejaden nicht mehr aus dem Kopf gegangen: Würde man den Mond im »neuen Licht« (unmittelbar nach Neumond) nicht viel schmaler darstellen? Und er erinnerte sich an einen babylonischen Keilschrifttext (mul-apin), nachdem immer dann ein Schaltmonat eingefügt werden müsse, wenn der Mond im Frühlingsmonat erst am dritten Tage neben den Plejaden stände. Und wenn man in der Zahl 32 der ursprünglichen Sterne auch mehr als Zufall sähe, dann könnten das die Tage seit dem Neumond davor (29,5 Tage des Mondmonats + 3 = 32) sein; ausserdem vergehen in 32 Sonnenjahren 33 Mondjahre usw. Die Schaltregel mit der Mondsichel funktioniert, das ist unbestritten – aber ob die ursprünglichen Hersteller und Hüter der Scheibe tatsächlich so komplex dachten (und womöglich gar von der Regel aus dem Zweistromland erfuhren), bleibt Spekulation. Vielleicht konnte der – wie man heute weiss, eher unerfahrene – Schmied einfach keine schmaleren Sicheln herstellen oder wollte eine Sichel an sich zeigen? Und setzte gerade so viele Sterne ein, dass es hübsch aussah und nicht zu mühsam war? Und wenn die 32 zum Abzählen dienen sollten: Warum die Symbole dann nicht ordentlich aufreihen?! In die dieses Jahr erscheinenden zweibändigen Proceedings der Tagung wird die neue Hypothese noch Aufnahme finden: Die Diskussion wird noch lange dauern …

Daniel Fischer

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