Alles, was sich zwischen dem Erdboden und den oberen Schichten der Atmosphäre an natürlichen Phänomenen abspielt und nicht direkt zum Wettergeschehen gezählt wird, gehört zum Zuständigkeitsbereich des Arbeitskreises Meteore (AKM), der zugleich die entsprechende Fachgruppe der Vereinigung der Sternfreunde ist: Vom 24.-16. Februar wurde wieder getagt, diesmal in Reimlingen, mitten im Nördlinger Ries. Von Meteoren über hochatmosphärische Entladungen bis zu atmosphärischen Lichteffekten, je exotischer desto besser, spannte sich der Bogen der oft hochkarätigen Referate.
- Bei den Meteoren haben im vergangenen Jahrzehnt mehr und mehr automatisierte Videokameras – in mehreren Ländern, aber von Deutschland aus koordiniert – über 183 000 einzelne Sternschnuppen aufgezeichnet: Das Jahr 2005 stellte mit knapp über 40 000 Meteoren einen neuen Jahres- und der Oktober 2005 einen Monatsrekord auf. Die Bahnen der Schnuppen lassen sich hochgenau vermessen, und die erste automatische Analyse sämtlicher Meteore mit aufwändiger statistischer Methodik hat nun begonnen. Sie bestätigt im ersten Lauf natürlich die großen und visuellen Beobachtern wohlbekannten Meteorschauer, doch eine ganze Reihe der »offiziellen« Meteorströme zeigen sich überhaupt nicht, dafür wieder andere, bisher unbekannte (und 42 Ströme insgesamt). Lag’s nur an den gewählten statistischen Parametern? Mehr Forschung tut not, aber selbst mit mehreren modernen Computern parallel dauert eine Komplettanalyse viele Tage.
- Intensiv analysiert worden sind die Umstände einer Feuerkugel vom 1.10.2005, die just über das Internationale Teleskop-Treffen (ITT) auf der Emberger Alm in Österreich hinwegzog: Fotografisch erfasst wurde sie leider nur von drei Kameras im 400 km entfernten Tschechien, während sich die Augenzeugen vor Ort trotz rascher Interviews in allerlei Widersprüche verwickelten. Die Tschechen legten aufgrund der drei Aufnahmen eine detaillierte Analyse der Flugbahn vor, die indes zu den Wahrnehmungen der ITT-Beobachter in eklatantem Widerspruch steht – insbesondere hätte die Feuerkugel danach keinesfalls über den ITT-Platz fliegen können. Nun steht die Frage im Raum: Haben die eigentlich sehr renommierten tschechischen Astronomen systematische Fehler gemacht, oder liegen die Wahrnehmungen der ITT-Beobachter, nach denen die Feuerkugel praktisch durch den Zenit ging, allesamt krass daneben?
- Die spektakulärste Feuerkugel mit Meteoritenfall in Europa seit Neuschwanstein gab es am 4. Januar 2004 in Spanien: Die Feuerkugel wurde gefilmt, fotografiert – und 36 Meteoriten wurden bisher gefunden, einer mit über 1 kg Masse, 6 mit 200 bis 1000 g und 29 unter 200 g, zusammen 5,3 kg. Die theoretisch zu erwartende Hauptmasse von vielleicht 15 kg wird dabei immer noch gesucht, wobei sich auch deutsche Stern- und v.a. Steinfreunde schon öfters durch das 4 x 15 km große; Fallgebiet quälten (und mehrfach fündig wurden); es gibt darin waldige Gebiete, wo die Suche praktisch aussichtslos ist. Die Meteoriten – der Fall heisst offiziell Villalbeto de la Peña – sind L6-Chondriten, und der Körper hatte vor dem Atmosphäreneintritt knapp 1 m Durchmesser und 750 kg Masse.
- Eine automatische Himmelsüberwachung für Phänomene aller Art, nachts wie tagsüber, hat Mark Vornhusen in
Himmelsüberwachung für Phänomene aller Art
der Schweiz mit immer mehr Videokameras und Computeranalyse der Datenströme aufgezogen: Meteore gehen dabei ebenso ins Netz wie jene Sprites über Gewittern, denen sogar eine europäische Kampagne gewidmet ist. Schon 2002 gelangen Vornhusen die ersten Detektionen, die besten Bilder aber 2005: In manchen Nächten gibt es ganze Kaskaden dieser extrem kurzen und mit dem Auge fast nicht wahrnehmbaren roten Blitze, für deren Aufzeichnung empfindliche Videokameras geradezu ideal sind (Abb.). Dank seines hohen Standortes kann Vornhusen bis zu 400 km entfernte Gewitter überblicken, und letztens ist ihm – vermutlich als erstem im Europa – auch ein »blauer Jet« in geringerer Höhe über den Wolken ins Netz gegangen.
- Endlos ist die Vielfalt der Erscheinungen der atmosphärischen Optik, und immer wieder werden neue Spielarten entdeckt. »Brockentroll in Seerauch« oder »untere Spinnweben-Lichtsäule« werden sie dann getauft, und zuweilen kommt es gar (so auf einer Spezialtagung der AKM-Atmosphärenfreunde 2005) zu einer Abstimmung über den besten Begriff: »Schattenstrahl« heisst seither offiziell das Gegenstück zum berühmten Brockengespenst, wenn im Gegenlicht der Schatten eines Objekts auf Nebel vor dem Beobachter fällt. Am beliebtesten sind aber die Haloerscheinungen, die besonders bizarre Formen annehmen, wenn die Lichtquelle kein unendlich weit entferntes Himmelsobjekt wie Sonne und Mond sondern eine relativ nahe Lampe ist: Über die schräge Geometrie von Halos durch divergierende Lichtstrahlen konnte sich die AKM-Gemeinde kaum mehr einkriegen …
Zum ersten Mal die beiden großen Arbeitsgebiete des AKM zusammengeführt hat übrigens am 2.11.2005 eine Feuerkugel mit 22°-Halo, die von einer Überwachungskamera in Texas gefilmt wurde – das wurde auf dem 1½-tägigen Seminar stürmisch gefeiert, zu dem auch eine Exkursion zum Rieskratermuseum und zwei Aufschlüssen gehörte. Die aktuellste Fragestellung auf der Tagung war: Darf man diesen Juni auf Meteore vom Kometen Schwassmann-Wachmann 3 hoffen, wenn seine Fragmente der Erde nahekommen (siehe oben)? Man darf nicht, zeigen neue Analysen, denn alle seit 1801 abgesonderten Teilchen verfehlen die Erde dieses Jahr. Und ein Bericht über einen angeblich 1930 in Japan beobachteten SW3-Schauer kann bei nahem betrachtet nur ein Irrtum gewesen sein.