Eine alte Methode zur Bestimmung der Expansionsgeschwindigkeit des Universums ist nun erwachsen geworden – und bestätigt den hohen Wert, eine Hubble-Konstanten von H0 = 72 km/s/Mpc, auf den inzwischen auch die meisten anderen „direkten“ Techniken hinweisen. Während die Ableitung von H0 aus dem Muster des Echos des Urknalls einen Wert unter 70 liefert: Der Widerspruch wird immer deutlicher und könnte auf „neue Physik“ hinweisen – aber so weit sind wir noch nicht ganz.
Die „klassische“ Methode zur Messung der kosmischen Expansionsrate – etwas theatralisch auch als „Flucht der Galaxien“ bekannt – geht so: Man nehme ein kosmisches Objekt von bekannter absoluter Helligkeit, zum Beispiel eine spezielle Sorte heller Sterne oder Sternexplosionen, beobachte sie sowohl in der „Nähe“, also der Milchstraße oder einer gut untersuchten Nachbargalaxie, wie auch in fernen Galaxien, die mit zunehmendem Abstand von der kosmischen Expansion immer schneller mitgerissen werden. In der Ferne erscheinen sie lichtschwächer, die Distanz kann abgelesen werden, und mit ein paar solcher Fälle hat man H0 im Griff. Jedenfalls im Prinzip, doch in der Realität schleichen sich eine Fülle möglicher Fehlerquellen ein, und die Technik funktioniert auch nur in mehreren Stufen. Eine ideale Alternative sind Methoden, die den Expansionseffekt in einem Schritt quer durch den Kosmos bestimmen – und Gravitationslinsen, bei denen die Schwerkraft einer Galaxie das Licht einer anderen dahinter in einer Weise ablenkt, dass auf der Erde mehrere „Bilder“ von ihr ankommen, öffnen einen Weg. Das Licht der Hintergrundgalaxie ist auf den verschiedenen Wegen unterschiedlich lange unterwegs, und wenn ihre Helligkeit schwankt, dann tun dies die Bilder mit zeitlichem Versatz. Die Zeitdifferenzen werden dabei von der Massenverteilung der Vordergrundgalaxie und direkt von der Hubblekonstanten bestimmt!
Schon vor 50 Jahre wurde vorgeschlagen, deren Wert über diesen Effekt zu bestimmen, aber die Ergebnisse streuten extrem und halfen nicht weiter – während gleichzeitig die ‚klassischen‘ Methode mehr und mehr auf ein H0 etwas über 70 führten. Und nun hat die Linsenmethode mächtig aufgeholt, dank des großen internationalen Projekts H0LiCOW – H0 Lenses in COSMOGRAIL’s Wellspring – mit der fortwährenden Beobachtung von fünf ausgewählten Gravitationslinsen mit jeweils mehreren Bildern. Nicht nur die Helligkeitsschwankungen sind wichtig sondern auch die exakte Kenntnis der Massenverteilung in den Vordergrundgalaxien und die Wirkung anderer Galaxien in der Nähe auf die Lichtwege. Die Daten von drei dieser Linsensysteme sind nun ausgewertet und zusammen geführt worden: Das Ergebnis H0 = 72±3 km/s/Mpc deckt sich perfekt mit dem Konsens der letzten Jahre aus den anderen direkten Methoden. Und widerspricht mit zunehmender Signifikanz dem H0 = 68±1 km/s/Mpc vom Satelliten Planck und der Analyse seiner Karten der Kosmischen Hintergrundstrahlung vom Urknall. Am Planck’schen H0 kann aber nicht gedreht werden, es ergibt sich mathematisch zwangsläufig aus dem kosmischem Muster. Dieses Problem ist seit 2013 bekannt, und je mehr direkte Methoden ein H0 klar über 70 liefern, desto interessanter wird es. Zahlreiche Lösungen sind denkbar, die durchweg interessante Erweiterungen der heutigen Physik erfordern würden. Noch bessere H0-Werte der direkten Art – und H0LiCOW hofft, besser als 3,5% Präzision zu erreichen – werden bald entscheiden, ob das tatsächlich nötig wird.
Daniel Fischer
LINKS:
H0LiCOW vorgestellt: https://arxiv.org/abs/1607.00017
Das neue Ergebnis: https://arxiv.org/abs/1607.01790
PM der MPG (mit Links zu noch mehr Papers): http://www.mpa-garching.mpg.de/407852/news20170126
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