Alerten Naturbeobachtern ist es tatsächlich aufgefallen: Am Abend des 8. Februar stand der Mond – auf halbem Weg zwischen erstem Viertel und Vollmond – ausserordentlich hoch am Himmel. Am 23. Februar dagegen wird die abnehmende Mondsichel extrem tief am Himmel stehen und es selbst in Kulmination hierzulande kaum 10° über den Horizont schaffen. Solch ungewöhnliche Stellungen des Mondes mit enormer Schwankungsbreite gibt es bereits seit 2005 und noch bis 2007, aber dieses Jahr werden die Rekorde aufgestellt: Am 19. Juni passiert der aufsteigende Knoten der Mondbahn den Frühlingspunkt, und die gut 5° Neigung der Mondbahn addieren sich voll zu den 23½° Neigung, die die Ekliptik ohnehin schon gegen den Äquator besitzt.
Große Mondwende werden dieser Moment – der nur alle 18,6 Jahre eintritt – und/oder diverse Extrempositionen des Mondes im Zusammenhang damit genannt: Verschiedene Definitionen dieses wenig bekannten Begriffes sind in Gebrauch. Das englische Äquivalent »major lunar standstill« trifft die Situation ohnehin etwas besser: Im Gegensatz zu den Sonnenwenden zweimal im Jahr, nach denen es nur Wochen dauert, bis sich die Taglänge wieder spürbar ändert, ziehen sich die Mondwenden über viele Monate hin. Und da einerseits die Mondbahn im Detail betrachtet sehr kompliziert und vielen Einflüssen unterworfen ist und uns der Mond andererseits so nahe steht, dass sich sein Ort an der Sphäre allein schon durch den Standort des Betrachters um fast 1° verändern kann, treten Extremstellungen des Mondes nach verschiedenen Kriterien zu Zeitpunkten Monate entfernt vom 19. Juni auf – und die Daten sind auch noch von Ort zu Ort verschieden. Und weil sich die Monddeklination schon innerhalb von Stunden stark verändert, fallen die Extremdeklinationen, -azimute und -höhen über dem Horizont nicht einmal auf dieselben Tage.
Ausnahmslos jede Nord- und Südbreite des Mondes im Jahr 2006 ist gewaltig, aber es gibt doch herausragende Daten, die interessieren mögen. Im Folgenden wurde mit dem populären Ephemeris Generator der Top-Himmelsmechaniker JPL für die Koordinaten von Bonn gerechnet, das auf 50°43′ Nord und 7°05′ Ost als typisch für ganz Deutschland gelten darf. Die Output-Tabellen in hoher Zeitauflösung wurden manuell durchforstet, in Zweifelsfällen teilweise in Minuten-Auflösung, aber die Angaben sind natürlich ohne Gewähr – und das Experiment läd sicher auch zur Nachahmung ein. Kurioserweise passiert ausgerechnet im Juni selbst nichts wirklich Herausragendes, weil just dann die schwankende Neigung der Mondbahn ein Minimum durchläuft (Himmelsjahr 2006 S. 165-8).
Richtig auffällig wird es natürlich, wenn der Vollmond Extremstellungen einnimmt: den südlichsten gibt es am 11. Juni mit einer Deklination von -28°27′ (am 11. Juli sind es immerhin -27°14′). Und der nördlichste Vollmond verspricht am 5. Dezember mit +26°56′ Deklination (was die +25°10′ des 14. Januar deutlich schlägt) eine außergewöhnlich gut beleuchtete Nacht: Deep-Sky-Fans dürfen dann ausschlafen. Ansonsten interessieren sich für die Mondwenden (die »kleine«, wenn sich die Monddeklination besonders wenig ändert, folgt in gut 9 Jahren) eigentlich nur noch Archäoastronomen: In manchen Bauwerken mögen die Extremstellungen des Mondes markiert sein, auch wenn dies kaum zu beweisen ist. In einer solchen Anlage auf der schottischen Isle of Lewis wird man dieses Jahr immerhin versuchen, die Mondwende vor Ort zu verfolgen.
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