Ein Jahr nach Holmes: verblüffend wenig gelernt

Eine IR-Aufnahme von Holmes bei 24µm Wellenlänge vom 13. März 2008, rechts extrem kontrastgesteigert, um bislang unerklärte Filamentstrukturen in der Koma sichtbar zu machen. Auch der »Trail« soll zu dem Kometen gehören: ein kleines Fragment, das ihn begleitet. [NASA/JPL-Caltech]
Es war in der Nacht zum 23. zum 24. Oktober 2007, als die Helligkeit des Kometen 17P/Holmes binnen Stunden um einen Faktor 500000 bis eine Million anstieg und der eben noch 17m schwache Komet am Himmel für das bloße Auge sichtbar wurde. Mit einem Schlag hatte der kleine Kometenkern eine ungeheure Menge Staub freigesetzt, die zunächst eine sehr kompakte Kugel von enormer Flächenhelligkeit bildete. Sie expandierte danach stetig, und der anfangs sternförmig erscheinende Holmes wurde zu einer immer größeren und diffuseren Scheibe am Himmel. Man sollte meinen, dass es ein Jahr nach dem Ausbruch, der alle anderen Kometeneruptionen — auch diejenige, die Holmes selbst 1892 widerfahren war — in ihrer Amplitude bei weitem übertraf, in der astronomischen Fachliteratur an Arbeiten nur so wimmelt, von detaillierten Beobachtungsberichten ebenso wie theoretischen Überlegungen zum Mechanismus des Phänomens. Aber weit gefehlt: Auch die umfassendste astronomische Bibliografie, das Astrophysics Data System, listet nur eine Handvoll größere Veröffentlichungen zu wissenschaftlichen Beobachtungen Holmes‘ im Ausbruch auf — und nur etwa drei der Papers wagen eine Interpretation der Ereignisse (wobei sich die Modelle jeweils gegenseitig ausschließen).

Immerhin wurden kurz vor dem Jahrestag des Ausbruchs auf einer Tagung Beobachtungen Holmes‘ mit dem Spitzer Space Telescope vorgestellt, die vielleicht in Richtung des Mechanismus weisen — aber selbst wieder neue Rätsel aufgeben. Der Infrarotsatellit hatte den Kometen im November 2007 und dann wieder im März 2008 beobachtet: Kurz nach dem Ausbruch wurde die Kometenkoma von feinem Silikatstaub beherrscht, der 2008 größeren Teilchen Platz gemacht hatte. Derselbe feine Staub war Kometenforschern immer dann begegnet, wenn Kometen etwas Gewaltsames widerfahren war: nach dem Einschlag des Projektils der Deep-Impact-Mission in den Kern von Tempel 1 etwa oder nach einem Ausbruch von Hale-Bopp 1995. Vermutlich werden die normalerweise größeren Kometenteilchen durch energiereiche Prozesse regelrecht zerstäubt: Im Falle von Holmes könnte es die plötzliche Umwandlung von amorphem Eis in kristallines gewesen sein, die mit großer Energieabgabe einhergeht. Viele Details der Vorgänge in Holmes‘ Kern und Koma sind ebenso unverstanden: So wurden bei beiden Spitzer-Beobachtungen staubige Filamente in der Koma gesichtet, die im November von der Sonne weg zeigten (wie man wegen deren Strahlungsdruck auch erwarten konnte), im März aber ihre Raumrichtung beibehalten hatten, während die Sonne längst von einer ganz anderen Seite auf den Kometen schien …

Daniel Fischer

Die Spitzer-Beobachtungen: www.spitzer.caltech.edu/Media/releases/ssc2008-18/release.shtml
Holmes am 2.10.2008: pagesperso-orange.fr/fkometes/images/comets_img/17P-08100216-18x120s.JPG
Daniel Fischer

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