Der schlagendste Beweis für die Existenz der Dunklen Materie?

In der modernen Astrophysik ist sie seit bald einem Vierteljahrhundert fest etabliert, auch wenn ihre Natur immer noch so rätselhaft ist wie zuvor: die (nicht-baryonische) Dunkle Materie, deren Masse die der »normalen« Materie – sichtbar oder nicht – um ein Mehrfaches übertrifft. Bemerkbar macht sie sich allein durch ihre Schwerkraft, sei es über die Dynamik kosmischer Gebilde (Rotationskurven von Galaxien, Galaxienhaufen, Evolution großräumiger Strukturen) oder aber durch ihre Gravitationslinsenwirkung, die sich durch die Verzerrung der Bilder weiter entfernter Galaxien manifestiert. Dank des Linseneffekts lässt sich die Verteilung der Dunklen Materie im ganzen All ebenso kartieren wie in der Umgebung ausgewählter Galaxienhaufen. Linsenbeobachtungen am sogenannten Bullet Cluster hatten bereits ziemlich klar gezeigt, dass sich die Dunkle Materie anders als Gas verhält: Nach der Kollision zweier Haufen blieb sie einfach bei den Galaxien, während das Gas der beiden Haufen kollidierte und quasi im Raum hängen blieb. Diese Galaxienkollision sehen wir genau von der Seite, und sie fand vor rund 200 Mio. Jahren statt.

Auf einer Telefonkonferenz am 15. Mai feierte die NASA nun einen ganz ählichen Fall, bei dem die Galaxien aber schon vor 1 bis 2 Mrd. Jahren kollidierten – und wir genau »in Fahrtrichtung« auf die Folgen des Zusammenstosses schauen. Nach langer Auswertung von Hubble-Aufnahmen mit der Advanced Camera for Surveys (ACS) scheint es nun relativ sicher, dass die Haufen – gemeinsam als ZwCl 0024+1652 bekannt – von einer Art Ring aus Dunkler Materie umgeben sind, in dem etwa ein Zehntel der Gesamtmasse der Galaxien (von mehreren 1014 Sonnenmassen) steckt und der 2,6 Mio. Lichtjahre groß ist. Der Ring macht sich nur durch den »schwachen Linseneffekt« bemerkbar, ganz leichter Deformationen der Hintergrundgalaxien, die nur in statistischer Analyse auffällt. Bestünde das Ringmaterial aus Sternen oder Gas, würde man dort in der einen oder anderen Wellenlänge etwas leuchten sehen: Da dies nicht der Fall ist, wird es wohl die geheimnisvolle Dunkle Materie sein. Zwar hatte sich solch ein Massenring (bei dem es sich um den Rand einer Schale handeln dürfte), schon in Hubble-Linsendaten noch von der älteren Kamera WFPC2 angedeutet, nun soll er wesentlich signifikanter geworden sein.

Wenn sich sich nicht doch um ein subtiles Artefakt der ACS-Geometrie und/oder der Datenanalyse handelt: Die Beobachter sind sich sicher, alle Störeffekte ausgeschlossen zu haben, ein von der NASA fairerweise zur Telecon geladener unabhängiger Astronom mahnte dennoch zur Vorsicht. Gerade ZwCl 0024+1652 sei schon in der Vergangenheit für Sensationsmeldungen gut gewesen, die sich später als falsch erwiesen hätten. Nimmt man die Ringstruktur aber ernst, dann dürfte es sich um eine Spätfolge der Galaxienhaufenkollision handeln: Während das Gas näher an der Sichtlinie zurückblieb, wurden die Dunkle Materie und vermutlich auch etliche Galaxien weit in den Raum hinaus geschleudert. (Dieselbe prinzipielle Dynamik beobachtet man auch bei der Wagenradgalaxie, die mit einer anderen kollidierte.) Dass man am Ort des DM-Ringes keine Galaxien der Haufen identifiziert hat, dürfte einfach an ihrer geringen Zahl und der enormen Ausdehnung der Struktur liegen. Und dass heute noch die ausgeprägte Ringstruktur der DM zu sehen ist, spricht für ein kollisionsfreies Substrat: Das ist leider auch schon alles, was die Beobachtungen zur Natur der DM zu sagen haben. Ein zweiter ähnlicher Fall wäre wünschenswert, aber der Bullet Cluster taugt hier nicht: Bei ihm konnte sich, weil die Kollision vor nur 1/5 bis 1/10 der Zeit stattfand, noch keine vergleichbare Struktur der Dunklen Materie ausbilden. Die ACS wäre für solcherlei Untersuchungen geradezu ideal – aber seit Januar ist sie ja nicht mehr …

Daniel Fischer

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