400 Mrd. heimatlose Planeten in der Milchstraße – hochgerechnet

Himmelskörper mit der Masse von Planeten – also unter der Grenze von 13 Jupitermassen, wo das Reich der Braunen Zwerge beginnt – aber ohne dazu gehörigen Stern sind kein neues Phänomen: Eine Handvoll solcher »free-floating planetary-mass objects« (einen allgemein akzeptierten Begriff gibt es noch nicht einmal im Englischen) bis zu 3 Jupitermassen hinab wurden bereits in Sternentstehungsgebieten direkt gesichtet, auch wenn über ihre Eigenschaften und Häufigkeit große Unsicherheit herrscht. Entstanden sind sie vermutlich direkt aus denselben Gaswolken, aus denen zugleich auch richtige Sterne kondensierten. »Freie Planeten« – da das griechische Wort letztlich nur »Wanderer« bedeutet, mag man den Begriff auch auf sternlose erweitern – können aber auch entstehen, wenn einzelne Körper aus jungen Planetensystemen durch gravitative Wechselwirkungen herausgeschleudert werden: Das war bis jetzt ein rein hypothetisches Szenario, aber nun gibt es auch direkte Hinweise, dass die Milchstraße voll solcher herrenlosen Objekte ist. Diese Hochrechnung basiert auf gerade einmal zehn beobachteten Fällen, in denen ein Körper mit erheblich weniger Masse als ein Stern vor einem weiter entfernten Stern in der Mitte der Milchstraße vorbeizog und dessen Helligkeit durch den Gravitationslinsen-Effekt ein paar Tage lang steigerte: Die Schwerkraft des Vordergrundobjekts fokussierte durch leichte Raumkrümmung mehr Strahlen des Sterns Richtung Erde als diese sonst erreichen würden.

Derartiges »Microlensing« durch einen Stern vor einem Hintergrundstern ist schon oft beobachtet worden und führt zu einem Wochen dauernden symmetrischen Anstieg und Abfall von dessen Helligkeit. Auch schon ein paar Mal aufgetreten sind derartige Linsensignale mit einem darauf sitzenden viel kürzeren Helligkeitsmaximum: Hier sorgten ein Stern und ein Planet von ihm für die Verstärkung. In den zehn nun veröffentlichten Fällen jedoch dauert das gesamte Linsen-Ereignis nur wenige Tage: Verantwortlich sein können nur planetenartige Körper von etwa einer Jupitermasse, die entweder auf einem extrem weiten Orbit um einem Stern kreisen, so dass dieser keinerlei Linsenwirkung ausübt – oder aber es handelt sich um völlig einsam durch die Milchstraße ziehende Planeten. Für letzeres sprechen die negativen Ergebnisse von Suchprogrammen, die per direkter Abbildung Planeten junger Sterne auf weiten Bahnen suchten und keine fanden. Die Linsen-Beobachtungen stammen vom Überwachungsprogramm MOA II, das die Helligkeit von 50 Millionen Sternen mehr als einmal die Stunde misst, und dessen Daten aus den Jahren 2006-2007: Von 474 Linsenereignissen fallen 10 in diese exotische Kategorie, wobei 7 auch von einem anderen Programm, OGLE III, erfasst wurden. Hochgerechnet ergibt sich, dass es in der Milchstraße knapp doppelt so viele dieser sternlosen Planeten gibt wie Hauptreihensterne: Das wären rund 400 Milliarden. Und das gilt nur für freie Planeten von Jupitermasse an aufwärts: Kleinere dürften sogar noch leichter aus ihren Planetensystemen geworfen werden. Ob das alles nicht zu kühn gedacht ist, wird die Analyse weiterer Jahre MOA- und OGLE-Daten bald zeigen.

Daniel Fischer

Originalarbeit:
arxiv.org/abs/1105.3544
Kommentar:
www.nature.com/news/2011/110518/full/news.2011.303.html
JPL-Veröffentlichung:
www.jpl.nasa.gov/news/news.cfm?release=2011-147
Daniel Fischer

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Daniel Fischer

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