Komet Machholz 1 von jenseits des Sonnensystems?

Der Komet 96P/Machholz bei seinem Periheldurchgang 2002, aufgenommen vom Sonnensatelliten SOHO: ein exotischer Orbit — und eine noch exotischere chemische Zusammensetzung, die viele Fragen aufwirft. [ESA]
Der periodische Komet 96P/Machholz 1 fällt mit seiner chemischen Zusammensetzung völlig aus dem Rahmen aller anderen gut hundert Kometen, deren Gaskomae eingehend untersucht werden konnten: Wie David Schleicher vom Lowell Observatory in einem für moderne wissenschaftliche Arbeiten ungewöhnlich emotionalen Paper im Astronomical Journal vom November darlegt, fehlt es 96P insbesondere an dem Cyan-Radikal CN. Gegenüber der Norm ist es um einen Faktor 72 abgereichert, und auch die Kohlenstoffmoleküle C2 und C3 machen sich rar, wenn auch nur um Faktoren von 8 bzw. 19. Dagegen enthält Machholz 1 besonders viel des NH-Radikals. Für die Messungen der relativen Häufigkeiten der chemischen Verbindungen wurden Aufnahmen mit engbandigen Filtern gemacht, und bereits die Rohbilder von 96P während der besonders guten Sichtbarkeit im Frühjahr 2007 erschienen Schleicher »äußerst seltsam«, wie er schreibt.

Die Auswertung sei völlig eindeutig und Machholz mithin keiner der beiden großen Chemieklassen der Kometen zugehörig, die entsprechende Beobachtungen der letzten Jahrzehnte etabliert haben und die für jeden von 150 Kometen gepasst hat — mit der Ausnahme von 1988 Y1 (Yanaka) allenfalls, bei dem CN und C2 überhaupt nicht nachweisbar gewesen und um das mindestens 25- bzw. 100-fache abgereichert waren. Bis zum Fall Machholz war Yanaka aber der einzige Komet mit extremem CN-Problem geblieben. Die beiden Kometen haben ansonsten wenig gemein: Yanaka befindet sich auf einer ganz durchschnittlichen Bahn um die Sonne (0,43AE Perihelabstand; Parabelbahn), Machholz dagegen hat mit 0,127AE das sonnennächste Perihel. Leider lässt der Extremorbit keinerlei Rückschlüsse auf die eigentliche Herkunft von Machholz und seine ursprüngliche Bahn zu, womit drei Hypothesen für seine exotische Chemie im Raum stehen:

  • Veränderungen durch die häufigen Annäherungen an die Sonne bei einer Umlaufsperiode von nur 5,2 Jahren? Beim Einmal-Besucher Yanaka würde diese Erklärung indes ausscheiden.
  • Entstehung in einer abnormen Zone der Oort’schen Wolke, z.B. ganz besonders sonnenfern?
  • Bildung in der Umgebung eines fremden Sterns: Auch unsere Sonne verliert ständig Kometen in den interstellaren Raum, womit es umgekehrt denkbar ist, dass wir zuweilen Besuch von auswärts erhalten.

Beweisen oder widerlegen lässt sich mit den bisherigen Daten keines der drei Szenarien (die Schleicher übrigens alle nicht recht zusagen, wie er in einem Interview betonte). Aber spätestens bei der übernächsten Rückkehr von Komet 96P im Jahre 2017 sollten intensive Beobachtungen möglich sein. Und selbst den Einsatz einer Raumsonde hält Schleicher für gerechtfertigt, um dem exotischsten Kometen aller Zeiten auf den Kern zu rücken.

Daniel Fischer

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