Mit der nahezu flächendeckenden Einkehr der Fulldome-Ära – der klassische Sternenprojektor wird durch eine Ganzkuppel-Videoprojektion mit Millionen Pixeln Auflösung ergänzt oder gar ersetzt – standen die Planetarien auch in Deutschland vor einem Problem: Shows zu produzieren, die die neue Technik auch angemessen ausnutzen, bedeutet einen enormen Aufwand. Die Alternative Einkauf dagegen ist ebenfalls mit hohen Kosten verbunden und würde das Sternentheater zugleich zu einem Rundum-Kino für Fremdprodukte machen, was nicht das Ziel engagierter Betreiber sein kann.
Zum zweiten Mal nun haben führende deutsche Planetarien einen dritten Weg beschritten, und das Ergebnis kann sich sehen lassen: Bereits jetzt in Münster und Bochum und in den kommenden Monaten auch in allen anderen der insgesamt zehn Häuser, die gemeinsam das Programm »Zeitreise – vom Urknall zum Menschen« auf die Beine gestellt haben. Weitere Premieren sind z.B. in Mannheim am 1., in Berlin am 8. und in Jena am 9. Oktober, mit an Bord sind die Planetarien in Augsburg, Kiel, Nürnberg, Osnabrück und Wolfsburg.
Das 50-minütige Gemeinschaftswerk, dessen Fäden in Münster zusammen liefen, kann es tatsächlich mit dem Standard großer kommerzieller Produktionen aufnehmen. Zu danken ist dies namhaften Spezialisten für Computergrafik – aber diese agierten nicht nach primär künstlerischen oder dramatischen Gesichtspunkten, wie so oft in der Astro-Visualisierung für Massenprodukte, sondern setzten akribisch echte wissenschaftliche Daten und numerische Ergebnisse großer Simulationsrechnungen in spektakuläre Animationen um. Mit immer wieder neuen Überraschungen, auch für erfahrene Planetariumsgänger: Der Urknall ist z.B. keine Explosion in einem schwarzen Nichts, sondern ein blau strahlender Raum, was physikalisch gesehen tatsächlich Sinn hat – und die Dunkle Materie ist wirklich dunkel.
Rasch entstehen Milchstraße, Sterne, Sonne, Erde und Mond (dabei kracht es dann doch gewaltig), denn der eigentliche Schwerpunkt der Zeitreise sind die Entstehung und Ausbreitung des Lebens auf der sich weiter entwickelnden Erde. Das Programm schreckt auch vor Fachbegriffen nicht zurück und präsentiert eine solche Materialfülle, dass sich auch ein mehrfacher Besuch lohnt. Ein raumgreifender Abriss gleich mehrerer Naturwissenschaften auf dem allerneuesten Stand der Forschung: Das gab es in der Form noch nie.
Daniel Fischer
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